Quantcast
Channel: Dr. Roderic Ortner, Autor bei Vergabeblog
Viewing all 44 articles
Browse latest View live

Ein Angebot, das mit einer qualifizierten Signatur eingereicht wurde, ist zwingend auszuschließen, wenn das qualifizierte Zertifikat zuvor vom Anbieter gesperrt wurde (VK Südbayern, Beschl. v. 21.05.2015 – Z3-3-3194-1-08-02/15)

$
0
0
ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung

Die fortgeschrittene und qualifizierte Signatur steht der eigenhändischen Unterschrift gesetzlich gleich. Zwingende Voraussetzung ist jedoch, dass das zugrunde liegende Zertifikat gültig ist. Andernfalls droht der Ausschluss in einem Vergabeverfahren.

 

§ 8 SigG; § 13 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 1b, 3 VOB/A; § 16 Abs. 3 b VOL/A; § 19 EG Abs. 3 b VOL/A

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Brückenbauarbeiten im offenen Verfahren nach VOB/A, 2. Abschnitt aus. Die Abgabe eines Angebots konnte elektronisch mit fortgeschrittener oder qualifizierter Signatur oder schriftlich mit Mantelbogen abgegeben werden. Angebotsfrist war der 20.01.2015, 9.30 Uhr.

Ein Bieter beabsichtigte, sein Angebot elektronisch mittels qualifizierter elektronischer Signatur einzureichen und arbeitete fleißig an der Angebotserstellung. Unterdessen ordnete die Bundesnetzagentur gegenüber allen Anbietern von Signaturkarten mit dem Betriebssystem Cardos 4.3b gemäß § 19 Abs. 4 SigG die Sperrung der Zertifikate bis zum Jahresende an, da die Zertifikate nicht mehr dem neuesten Stand der Sicherheitstechnologie entsprachen. Da unser Bieter betroffen war, wurde dieser wiederum von dem Anbieter der Signaturkarte im November 2014 schriftlich darauf hingewiesen, dass die Signaturkarte in der Version 2.4 nur noch bis zum 31.12.2014 genutzt werden könne. Am 22.12.2014 erhielt der Geschäftsführer des Bieters auf Nachfrage die neue Signaturkarte in der Version 3.0 verbunden mit der Aufforderung, die Empfangsbestätigung persönlich zu unterzeichnen. Dieser konnte die Empfangsbestätigung aber nicht unterzeichnen, da er sich in den Weihnachtsurlaub verabschiedet hatte. Als Folge konnte die neue Signaturkarte vor dem 15.01.2015 nicht freigeschaltet werden. Die Mitarbeiter haben deshalb die Signaturkarte in der Version 2.4 verwendet. Diese war aber am 30.12.2015 gesperrt worden.

Der Auftraggeber schloss das Angebot gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 b VOB/A in Verbindung mit § 13 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A aus, da das Angebot nicht unterschrieben bzw. nicht wirksam signiert sei.

Der Bieter wehrte sich gegen den Ausschluss. Seine Strategie knüpfte weitestgehend an zwei Argumentationssträngen an:

Erstens, die Sperrung des qualifizierten Zertifikats (Anbieterzertifikats) lasse die Gültigkeit einer im Anschluss erstellten qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Kettenmodell unberührt. Sinn und Zweck der Sperrung sei, der Schutz des Signaturkarteninhabers vor missbräuchlicher Verwendung der Signaturkarte. Die Eintragung der Sperrung in das Zertifikatsverzeichnis habe jedoch nicht zur Folge, dass die dennoch erstellten Signaturen nicht den gesetzlichen Formanforderungen gerecht würden. Das signierte Dokument sei formwirksam, aber ändere die prozessuale Darlegungs- und Beweissituation. Danach dürfe der Empfänger einer elektronischen Signatur grundsätzlich auf deren Echtheit vertrauen, das heiße darauf, dass die elektronische Signatur von demjenigen stamme, der aus ihr als Aussteller hervorgehe.

Zweitens, selbst wenn die Signatur als ungültig bewertet würde, so wäre der Auftraggeber nach § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A verpflichtet gewesen, vom Bieter die Vorlage fehlender Erklärungen oder Nachweise zu verlangen. Dies sei nicht erfolgt.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer verwarf beide Argumente und befand den Ausschluss für rechtmäßig. Bemerkenswert ist, wie sich die Vergabekammer hier bemüht hat. Die Entscheidung umfasst immerhin 20 Seiten und die Vergabekammer ersuchte sogar die Bundesnetzagentur um Stellungnahme. Gleichwohl entschied sie in nur knapp drei Monaten, was beachtlich ist. Nach Auffassung der Vergabekammer bewirke die Sperrung gem. § 8 SigG, dass die durch das qualifizierte Zertifikat bestätigte Zuordnung des öffentlichen Signaturprüfschlüssels zum Signaturschlüssel-Inhaber ab dem Sperrzeitpunkt nicht mehr gelte. Durch diese Sperrung werde nicht nur der Anscheinsbeweis des § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO aufgehoben, sondern es könne nach der Eintragung des Sperrmerks nach § 7 Abs. 2 Satz 2 SigV keine qualifizierte digitale Signatur nach der Definition in § 2 Nr. 2 und Nr. 3 SigG mehr erstellt werden. Eine nach der Sperrung dennoch erfolgte Signatur genüge nicht den gesetzlichen Formanforderungen des § 126a BGB oder § 13 EG Abs. 1 Nr. 1 S. 3 VOB/A. Schließlich komme auch eine Nachforderung nicht in Betracht.

Rechtliche Würdigung

Die wohl berühmteste Unterschriftenfälschung ist die Konstantinische Schenkung aus dem Jahr 800. Darin wurde dem Papst Silvester I (also der Kirche) bis ans Ende aller Zeiten (usque in finem saeculi) die Oberherrschaft über Rom und die gesamte Westhälfte des Römischen Reichs geschenkt. Die Fälschung flog erst 700 Jahre später auf. Die Kirche beteuerte, dass es sich zwar bei der Urkunde um eine Fälschung handele, die Schenkung aber tatsächlich erfolgt sei.

Die Welt der Beweiswürdigung und der Beweismittel ist komplex. So gab es folgendes Experiment: Vier Personen wurde die gleiche Geschichte erzählt, nur verwendete man unterschiedliche Adjektive zur Betonung. Später wurden dann vier ganz unterschiedliche Geschichten wiedergegeben. Der Zeugenbeweis ist daher bekanntlich das schwächste Beweismittel. Die Urkunde gilt daher als das stärkste Beweismittel, da sie die Grundsätze der Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität am besten vertritt. Diese Grundsätze stehen in einem Interdependenzverhältnis zur Beweiskraft. Je stärker diese Grundsätze hinsichtlich des angebotenen Beweismittels ausgeprägt sind, desto höher ist seine Beweiskraft.

Diese bereits in der Antike verstandenen Grundsätze müssen heute auf die modernen Kommunikationsmittel übertragen werden. Gerade im Vergaberecht, das besonders anfällig für Vetternwirtschaft, Hoflieferantentum und Korruption ist, gilt es, Manipulationsmöglichkeiten zu vermeiden. Dies wiederum führt zu Formalismen im Vergabeverfahren, die dazu führen können, dass auch der Ehrliche der Dumme sein kann. Ein solcher Formalismus ist, dass eine eigenhändige Unterschrift elektronisch nur darstellbar ist, wenn die elektronische Unterschrift der eigenhändigen Unterschrift möglichst nahe kommt, sie also ersetzen darf. Der Gesetzgeber hat im Zivil- und Prozessrecht hierauf reagiert und neue Vorschriften geschaffen. § 126a BGB bestimmt, dass wenn die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden soll, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Und § 371a ZPO bestimmt:

Auf private elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, finden die Vorschriften über die Beweiskraft privater Urkunden entsprechende Anwendung.

Und § 13 EG Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 VOB/A bestimmt:

Elektronisch übermittelte Angebote sind nach Wahl des Auftraggebers mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz und den Anforderungen des Auftraggebers oder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen.

Alle Wege führen also in das Signaturgesetz (SigG). Das SigG legt fest, welche Voraussetzungen an eine fortgeschrittene und qualifizierte Signatur zu stellen sind, damit diese der eigenhändischen Unterschrift gesetzlich gleich steht. Im SigG muss man nun ein wenig Pingpong spielen, um diese Voraussetzungen zu erfassen. § 2 Nr. 3 SigG definiert zunächst die qualifizierte elektronische Signatur. Dies sind Signaturen, die auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden.

Sichere Signaturerstellungseinheiten wiederum ist in § 2 Nr. 10 SigG definiert als Software- oder Hardwareeinheiten zur Speicherung und Anwendung des jeweiligen Signaturschlüssels, die mindestens die Anforderungen nach § 17 oder § 23 dieses Gesetzes und der sich darauf beziehenden Vorschriften der Rechtsverordnung nach § 24 erfüllen und die für qualifizierte elektronische Signaturen bestimmt sind. § 17 SigG bestimmt unter anderem, dass für die Überprüfung signierter Daten sind Signaturanwendungskomponenten erforderlich sind, die feststellen lassen, welche Inhalte das qualifizierte Zertifikat, auf dem die Signatur beruht, und zugehörige qualifizierte Attribut-Zertifikate aufweisen. Ob die Signaturanwendungskomponenten die ganzen Voraussetzungen erfüllen, muss die Bundesnetzagentur nach § 17 Abs. 4 SigG bestätigen. Vorliegend hatte die Bundesnetzagentur eine Sperrung der hier betroffenen qualifizierten Zertifikate nach § 19 SigG angeordnet, da Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass die qualifizierten Zertifikate nicht hinreichend fälschungssicher waren. Der Anbieter wiederum musste diese Sperrung an seine Kunden nach § 8 SigG durchreichen.

Banner_DVGT2015

Der Ausschluss des Angebots wegen fehlender Unterschrift war daher richtig, da der Bieter schlichtweg keine wirksame qualifizierte Signatur verwendet hat. Seine Signatur genügten nicht mehr den Grundsätzen der Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität, da sie angreifbar war. Ein Nachfordern war natürlich nicht möglich. Nachgefordert werden dürfen nur fehlende Erklärungen und Nachweise, aber nicht die Unterschrift als solche. Das dürfte auch dem Bieter klar gewesen sein, aber auf einen Versuch durfte er es verständlicher Weise ankommen lassen.

Praxistipp

Die Entscheidung hat Reichweite für das gesamte Vergaberecht, da nach allen vergaberechtlichen Vorschriften die qualifizierte Signatur die eigenhändige Unterschrift ersetzen kann. Daher sind oben auch die entsprechenden Vorschriften der VOL/A zitiert. Bieter müssen unbedingt auf die Gültigkeit des Zertifikats achten, notfalls sollten sie besser den alten Weg der Papierform wählen. Der Gesetzgeber ist allerdings verpflichtet, bis zum Jahr 2017 das gesamte Vergabeverfahren zumindest im Oberschwellenbereich auf elektronische Füße zu stellen. Die Bieter dürfen dann, anders als noch in der Ausgangsentscheidung, nicht mehr das Angebot in Papierform einreichen. Eine kontinuierliche Kontrolle der Gültigkeit der elektronischen Zertifikate wird dann erst recht relevant.

Hinweis der Redaktion

Die bevorstehende Umstellung der Vergabeverfahren auf elektonische Verfahren ist Gegenstand der Innovationsforen des zweiten Deutschen Vergabetags am 15. und 16 Oktober 2015 in Berlin. Programm und Anmeldung unter www.deutscher-vergabetag.de.

The post Ein Angebot, das mit einer qualifizierten Signatur eingereicht wurde, ist zwingend auszuschließen, wenn das qualifizierte Zertifikat zuvor vom Anbieter gesperrt wurde (VK Südbayern, Beschl. v. 21.05.2015 – Z3-3-3194-1-08-02/15) appeared first on Vergabeblog.


Serie „Steckbriefe“– Dr. Roderic Ortner

$
0
0

Dr.-Roderic-Ortner_avatar-100x100Wie angekündigt, stellen wir Ihnen fortan mit der neuen Serie “Steckbriefe” die Autorinnen und Autoren hinter den Beiträgen vor. Heute, Herr Dr. Roderic Ortner, Rechtsanwalt und Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Er ist spezialisiert auf das Vergaberecht und das IT-Recht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Einen Überblick über die Beiträge von Dr. Ortner finden Sie hier.

1. Warum haben Sie sich als Rechtsanwalt ausgerechnet für das Vergaberecht entschieden und wie sind Sie dazu gekommen?

Ich habe mein Studium in Deutschland im Jahr 2001 abgeschlossen und bin dann für ein Jahr an die Universität von Amsterdam gegangen, um dort einen Master in „International and European Environmental Law“ zu erwerben. Zurück in Deutschland begann ich meine Laufbahn als Anwalt in einer auf Umwelt- und Technikrecht spezialisierten Kanzlei und betreute dort in erster Linie vergaberechtliche Mandate. Meine Dissertation schrieb ich dann auch über die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, insbesondere im Personenbeförderungs- und Entsorgungsbereich. Dem Vergaberecht blieb ich seitdem treu verbunden.

2. Haben Sie es bereits bereut?

Nein – in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es im Vergaberecht auch einen hohen Weiterbildungsbedarf im öffentlichen Dienst gibt, weswegen ich auch Vergaberechtsschulungen anbiete. Diese Verbindung zwischen direkter Betreuung von Mandaten und Tätigkeit als Dozent finde ich besonders spannend. So hielt ich mehrere Semester die Vergaberechtsvorlesungen an der Universität zu Köln und werde ab Herbst einen Lehrgang für Fachanwälte im Vergaberecht betreuen.

Zusätzlich habe ich mir im Laufe der Zeit neben dem Vergaberecht eine Expertise im IT-Recht aufgebaut, um vor allem bei Vergaben von IT-Leistungen optimal beraten zu können und bin seit 2014 auch Fachanwalt für IT-Recht.

3. Welchen Stellenwert nimmt die vergaberechtliche Beratung in Ihrer Kanzlei verglichen mit anderen Rechtsgebieten ein?

In unserer Kanzlei nimmt die vergaberechtliche Beratung ungefähr 50 % ein. Dabei habe ich auch die Beratung der EU-Institutionen im EU-Haushaltsrecht dazugerechnet.

4. Wo sehen Sie den größten Beratungsbedarf?

Der größte Beratungsbedarf dürfte aktuell durch die anstehende Umsetzung der neuen Vergaberichtlinien entstehen. Unsicherheiten bei Auftraggebern sehe ich häufig (nach wie vor) bei der Aufstellung der Bewertungsmethode. Bei Vergaben wird auch allzu oft die vertragliche Gestaltung vernachlässigt, teils sträflich. Hier sehe ich Nachholbedarf bei vielen Auftraggebern.

5. Und wo den größten Reformbedarf?

Wo soll ich anfangen und wie viel Platz habe ich für diesen Steckbrief? Insgesamt sollte das Vergaberecht so weit vereinfacht werden, wie es rechtlich möglich ist. Dazu gehört eine einheitliche Gesetzgebung für den VOB- und VOL-Bereich und weitestgehend die Aufgabe der Trennung von Unter- und Oberschwellenbereich. Das Vergaberecht ist kein Selbstzweck, es soll dem fairen Wettbewerb dienen und nicht der Bürokratie.

6. Vergabeblog.de erreicht monatlich rund 20.000 Leser. Worin liegen für Sie die weiteren Vorteile gegenüber einer klassischen Fachzeitschrift?

Ich engagiere mich für den Vergabeblog seit Anfang an und fühle mich diesem seither verbunden. Ich freue mich, dass der Vergabeblog nicht nur die Fachleser (Vergaberechtler) erreicht, sondern auch die Praktiker. Der Vergabeblog mit dem DVNW hat damit die einmalige Chance, die Sorgen der Praxis den Experten in den zuständigen Ministerien, aber auch den Gerichten, näher zu bringen und für eine „praxisnahe Gesetzgebung“ und eine „praxisnahe Rechtsprechung“ zu sorgen. Dies können Fachzeitschriften nur sehr eingeschränkt leisten.

7. Und nach Dienstschluss: Was treibt Sie um jenseits des Vergaberechts?

Familie und Freunde.

8. Kurz und knapp: Wenn Sie die folgenden Sätze vervollständigen könnten:

Vergabeblog…

bringt uns das Vergaberecht näher

Vergaberecht…

ist mehr als bloßer Formalismus

Der Beruf als Rechtsanwalt…

ermöglicht es mir, Menschen durch den Paragraphendschungel zu führen.

The post Serie „Steckbriefe“ – Dr. Roderic Ortner appeared first on Vergabeblog.

Zu den Voraussetzungen an ein Verhandlungsverfahren und die Aufstellung von Bewertungskriterien (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2015–VII-Verg 28/14)

$
0
0
ITKRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDer Vergabesenat des OLG Düsseldorf hat in dieser Entscheidung zahlreiche vergaberechtlich umstrittene Gesichtspunkte besprochen. Die Entscheidung ist eine tour d’horizon durch das Vergaberecht und Pflichtlektüre jedes vergaberechtlich Interessierten. Aufgrund des Umfangs der Entscheidung muss ich mich hier auf einige adressierte Themen (Leitsätze) beschränken. So enthält die Entscheidung auch lesenswerte Ausführungen zu vom Auftragnehmer bei Rahmenvereinbarungen hinzunehmenden Risiken, auf die hier nicht eingegangen werden kann.

GWB § 97 Abs. 1, 4 Satz 2, § 99 Abs. 7, 9, 10, § 107 Abs. 3 Satz 1; Richtlinie 2009/81/EG Art. 20; VSVgV §§ 1, 10, 11, 14, 15, 31, 34, 4

Leitsatz

[…]

5. Eine Verhandlungsrunde ist begrifflich erst nach Durchführen von Verhandlungen des Auftraggebers mit den Bietern über die Angebote oder die Leistungen abgeschlossen. Nicht aber erfüllt das bloße Einreichen von Angeboten bereits den Begriff der Verhandlung.

6. Zu intransparenten Bewertungsmaßstäben beim Zuschlagskriterium der Qualität.

[…]

9. In Vergabeverfahren ist die Einreichung mehrerer Hauptangebote durch Bieter nicht generell, sondern nur unter der Voraussetzung zugelassen, dass der Auftraggeber solches in den Vergabeunterlagen veranlasst oder sonst dazu aufgefordert hat. […]

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Beschaffung einer Virenschutzsoftware einschließlich Unterstützungs- und Beratungsleistungen gemäß VSVgV im Wege eines Verhandlungsverfahrens nach vorherigem Teilnahmewettbewerb aus. In der Bekanntmachung bezog er sich an einer Stelle auf die VOL/A. Zuschlagskriterium war das wirtschaftlichste Angebot. Die Vergabeunterlagen waren großenteils als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet. Sie setzten sich zusammen aus Allgemeinen Bewerbungsbedingungen (Teil A), Besonderen Bewerbungsbedingungen (Teil B), der Leistungsbeschreibung (Teil C), einem Kriterienkatalog (Teil D), einem Abschnitt über Preise (Teil E), Vertragsbedingungen (Teil F) und Anlagen (Teil G).

Ein Bieter wurde ausgeschlossen, da er nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Dieser wehrte sich gegen seinen Ausschluss und führte mehrere angebliche Vergabefehler an. Im Ergebnis gab ihm der Vergabesenat recht.

Rechtliche Würdigung

1. Maßgeblichkeit der objektiven Rechtlage

Der Vergabesenat betont zunächst, dass der öffentliche Auftraggeber nicht darin frei sei, welche Rechtsordnung er der Beschaffungsmaßnahme zugrunde legt. Maßgebend dafür sei allein die objektive Rechtslage mit der Folge, dass – sofern der Auftraggeber eine objektiv nicht einschlägige andere Vergabeordnung genannt hat – dies ohne eine rechtliche Bedeutung ist. In der Praxis ist dies häufig relevant bei der Verwendung von Formularen. Auftraggeber verwenden häufig VOL-Formulare, soweit sie für Vergaben nach anderen Verfahrensarten (VOF, VSVgV, SektVO) das entsprechende Formular nicht zu Hand haben.

2. Transparenzanforderungen beim Verhandlungsverfahren

Der Vergabesenat ist der Auffassung, das Verhandlungsverfahren sei bereits nicht regelrecht durchgeführt worden. Die Vergabeunterlagen seien hier intransparent. In den Vergabeunterlagen war Folgendes festgelegt:

„Das Verhandlungsverfahren ist mehrstufig aufgebaut. Die erste Phase ist abgeschlossen. In der zweiten Phase werden verbindliche, zuschlagsfähige Angebote erwartet (…). Es ist vorgesehen, mit Abschluss dieser Verhandlungsrunde den Zuschlag zu erteilen. Soweit nach der zweiten Verhandlungsrunde kein zuschlagfähiges Angebot vorliegt, folgt die Vorbereitung der nächsten Verhandlungsrunde.“

Die Vergabestelle führte Verhandlungsgespräche mit ausgewählten Bietern durch und übersandte überarbeitete Vergabeunterlagen (Version 2), in denen sie u.a. Zuschlagskriterien und Gewichtungen änderte, und forderte zu erneuten Angeboten auf. Die Bieter reichten neue Angebote ein. Nach Angebotswertung beabsichtigt die Vergabestelle ohne erneute Verhandlung den Zuschlag zu erteilen. Der Vergabesenat ist nun der Auffassung, aus den Bewerbungsbedingungen würden Bieter dadurch überrascht werden, da sie mit einer weiteren Verhandlungsrunde hätten rechnen können. Der Vergabesenat liefert auch einen Formulierungsvorschlag. Danach hätte die Vergabestelle noch folgenden Satz aufnehmen müssen: „Die Vergabestelle behält sich vor, ohne weitere Verhandlungen auf eines der in der zweiten Phase eingegangenen Angebote den Zuschlag zu erteilen.“ Meines Erachtens ist der Vergabesenat hier päpstlicher als der Papst. Legt man diese Formstrenge an Bewerbungsbedingungen für Verhandlungsverfahren an, so dürften die meisten Verhandlungsverfahren vergaberechtlich unzulässig sein, da sie nicht jeden Schritt im Detail erklären, sondern im Gegenteil absichtlich offen gehalten sind. Dass ein solches Offenhalten per se unzulässig ist, folgt aus der Entscheidung nicht. Allerdings ist die Vergabestelle dann während des Verhandlungsverfahrens gehalten, die nächsten Schritte und Vorgaben zu detaillieren, und zwar schriftlich (mündlich im Verhandlungsgespräch genügt nicht). So führt der Vergabesenat aus:

„Was den am Auftrag interessierten Unternehmen im Rahmen eines Bietergesprächs mündlich erklärt worden sein soll (nämlich: In der zweiten Verhandlungsphase soll der Auftraggeber einen Zuschlag ohne erneute Verhandlung erteilen können), ist rechtlich unerheblich. Aus Gründen der Klarheit und Eindeutigkeit der Vergabeunterlagen sowie desselben Verständnisses durch Bieterunternehmen wegen sind Mitteilungen des Auftraggebers, welche die Vergabebedingungen betreffen, in jedem Fall in schriftlicher Form vorzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28. Januar 2015 – VII-Verg 31/14). Auf die von der Antragsgegnerin zum Inhalt mündlicher Erklärungen von Vertretern der Vergabestelle beantragten Zeugenvernehmungen kommt es für die Entscheidung daher nicht an.“

DVNW_Mitglied

3. Müssen Verhandlungen geführt werden?

Ein weiterer wichtiger Satz (ein obiter dictum) ist in der Entscheidung zu lesen:

„Unabhängig davon ist eine Verhandlungsrunde begrifflich erst nach Durchführen von Verhandlungen des öffentlichen Auftraggebers mit den Bietern über die Angebote oder die Leistungen abgeschlossen. Nicht aber erfüllt das bloße Einreichen von Angeboten bereits den Begriff der Verhandlung. Dieses Verständnis ergibt sich aus einer wortlautgemäß eng Auslegung der insoweit einschlägigen Normen (§ 11 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 VSVgV: „Angebote, über die verhandelt wird“; ebenso § 3 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG). Auch dem Sinn nach kann nicht bereits dann von Verhandlungen gesprochen werden, wenn Bieter zum Vergabeverfahren – einseitig – lediglich ein (weiteres) Angebot eingereicht haben.“

Meines Erachtens folgt daraus, dass die Auffassung der Vergabekammer des Bundes, Verhandlungen müssten im Verhandlungsverfahren gar nicht geführt werden, so nicht mehr haltbar ist. Zu recht. Denn Sinn und Zweck der (meisten) Ausnahmetatbestände, die zum Verhandlungsverfahren führen, ist ja gerade, dass der Gesetzgeber hier den Bedarf gesehen hat, dass die Parteien verhandeln müssen. Wenn der Auftraggeber etwa in das Verhandlungsverfahren geht, da die Leistung nicht eindeutig und erschöpfend beschreibbar ist und nun keine Verhandlungen führt, würde sich der Auftraggeber widersprüchlich verhalten.

4. Konkretisierungen im Verhandlungsverfahren zulässig

An anderer Stelle in der Entscheidung bestätigt der Vergabesenat im Übrigen, dass seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. September 2006 (X ZB 14/06, Rn. 23) anerkannt sei, dass der öffentliche Auftraggeber, sei es zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit, die Vergabeunterlagen im laufenden Vergabeverfahren ändern darf, sofern dies nur in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschieht. Die Änderungsbefugnis des Auftraggebers bezieht sich auf alle Bestandteile der Vergabeunterlagen (die Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien, Gewichtungen etc.).

5. Zu den Transparenzanforderungen an ein Bewertungssystem

Der Vergabesenat hat sich weiterhin mit dem Bewertungssystem befasst und dieses für vergaberechtswidrig angesehen. Auch hier zeigt sich eine zunehmende Strenge des Vergabesenats, was das Transparenzgebot anbelangt. Wie so oft bei IT-Vergaben hat die Vergabestelle einen Kriterienkatalog mit Anforderungen erstellt und ein Punktesystem von 0-10 Punkten für jedes Kriterium (mit unterschiedlichen Gewichtungen) vorgesehen. Dies ist bekannt aus der UfAB. Ebenfalls in Anlehnung an die UfAB wurde die Punktevergabe anhand von Zielerfüllungsgraden festgemacht. Konkret heißt es in den Unterlagen:

„Wird die geforderte Leistung (Bewertungs-Einzelkriterien) vollständig angeboten, d.h. zu 100 % oder mehr erfüllt, wird dieses Bewertungskriterium mit 10 Punkten bewertet (…) Wird ein Bewertungskriterium nicht vollständig erfüllt, verbleibt das Angebot in der Wertung und wird nach folgender Regel bewertet.

8-9 Punkte: 80 % Anforderung mit kleinen Schwächen erfüllt, die ohne erkennbaren Einfluss auf die Nutzung sind.

6-7 Punkte: 60 % Anforderung teilerfüllt, mit geringen Einschränkungen nutzbar, die mit geringem Einfluss auf die Nutzung sind und akzeptiert werden.

4-5 Punkte: 40 % Anforderung teilerfüllt, mit deutlichen Einschränkungen aber noch nutzbar, die mit erheblichem Einfluss auf die Nutzung sind und gerade noch akzeptiert werden.

1-3 Punkte: 25 % Anforderung teilerfüllt, aber auch nicht mehr mit Einschränkungen nutzbar.

0 Punkte: 0 % Nicht erfüllt oder keine Angaben.“

Bei der Punktvergabe werden die Schlüssigkeit, Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit der von den Bietern in ihren Antworten gemachten Angaben bzw. vorgelegten Konzepte in Bezug auf die Anforderungen bewertet.

Der Vergabesenat führt dazu aus:

„Die Vergabeunterlagen vermitteln Bietern unter B 13.1 keine zuverlässigen und kalkulierbaren Informationen darüber, wie und vor allem mit welcher Punktzahl die Angebote bei den im Kriterienkatalog (Abschnitt D) gestellten Anforderungen bewertet werden sollen, ebenso wenig darüber, worauf es der Vergabestelle im Einzelnen angekommen ist, damit Bieter ein qualitativ optimales Angebot haben einreichen können (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. April 2014 – VII-Verg 36/13). Die Bewertungsmaßstäbe im Punkt Qualität (Leistungskennzahl) sind intransparent. (…). Aufgrund der Vergabeunterlagen, nämlich anhand des Kriterienkatalogs (Abschnitt D) und der Bewerbungsbedingungen (Abschnitt B), haben Bieter im Voraus nicht zuverlässig ermitteln können, auf welche konkreten Leistungen die Vergabestelle Wert gelegt hat und wie Angaben und angebotene Konzepte insofern zueinander gewichtet werden sollten. Das Wertungssystem der Vergabestelle lässt objektiv Raum für Manipulationen und Willkür bei der Bewertung der Angebote. Es fehlen Bewertungsmaßstäbe in Bezug auf den Kriterienkatalog (D), welche dies hätten ausschließen müssen. (…).“

Das ist bemerkenswert. So hatte der Vergabesenat noch in einer Entscheidung aus dem Jahre 2009 betont, dass „der Auftraggeber für die Angebotswertung kein bis in letzte Unterkriterien und deren Gewichtung gestaffeltes Wertungssystem aufstellen muss, das im Übrigen dann auch Gefahr liefe, endlos und unpraktikabel zu werden. Insoweit ist auch daran zu erinnern, dass der Auftraggeber auf der letzten Ebene der Angebotswertung einen Wertungsspielraum hat.“ (Beschl. v. 30.07.2009 – Verg 10/09). Diese Entscheidung nimmt der Vergabesenat nicht mehr in Bezug. Diese Rechtsprechung ist damit m.E. überholt. Richtig ist, dass ein zu weiter Spielraum des Auftraggebers zu viel Raum für Manipulationen lässt. So wäre ein Kriterium „30 % Präsentation des Angebots in einem einstündigen Präsentationstermin“ oder „Kriterium XY erhält 0-10 Punkte“ sicher zu weit und unzulässig, wenn eine Binnendifferenzierung fehlt. Andererseits kann man von einem Auftraggeber keine Detaillierung verlangen, wenn er selbst noch gar nicht weiß, welche Lösungen und Ideen die Bieter bereithalten (und gerade deshalb das Kriterium offen lassen muss). Andernfalls würde dies auch zu einem Nivellierungseffekt der Qualität der Angebote führen und kreative bzw. innovative Lösungen hätten keinen Platz mehr. Wo genau die Grenze zwischen Beurteilungsspielraum und Intransparenz zu ziehen ist, ist noch nicht endgültig entschieden. Die vorliegende Entscheidung hat die Grenze aber auf jeden Fall deutlich mehr in Richtung Transparenz (durch erhöhten Detaillierungsgrad) verschoben.

6. Richtigstellung der Rechtsprechung zu mehreren Hauptangeboten

Die Vergabestelle hat in den Vergabeunterlagen vorgegeben:

„Es ist unzulässig, mehrere Hauptangebote abzugeben. Sollten Sie dennoch mehrere Hauptangebote einreichen, werden alle Ihre Angebote von der Wertung ausgeschlossen.“

Dies wurde im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf 9. März 2011 (VII-Verg 52/10) gerügt, aus welcher Viele herausgelesen haben, dass mehrere Hauptangebote stets zu werten sind und ergo ein Ausschluss vergaberechtswidrig sei.

Der Vergabesenat nutzt hier die Gelegenheit, seine damalige Entscheidung klarzustellen:

„Der Beschwerdevortrag offenbart, dass die Entscheidung des Senats vom 9. März 2011 missverstanden worden ist. Der Senat hat mehrere Hauptangebote in jener Entscheidung keineswegs vorbehaltlos zugelassen.“

Ich verstehe die (nicht leicht lesbare) Erklärung des Vergabesenats so: Mehrere Hauptangebote ergeben nur Sinn, wenn mehrere Produkte für die Leistungserbringung in Betracht kommen und diese Produkte austauschbar sind. Wenn dazu kein Anlass gegeben sei, was der Normalfall sei, so könne der Auftraggeber mehrere Hauptangebote ausschließen bzw. seien auch ohne einen solchen konkreten Hinweis ausgeschlossen.

7. Begrenzung der Eingabemöglichkeiten zulässig

Für die Praxis relevant ist noch ein weiterer Hinweis des Vergabesenats. Und zwar hatte die Vergabestelle klare Regeln hinsichtlich des Umfangs der Erläuterungen zu Kriterien angegeben. Dies ist oft in Vergabeunterlagen anzutreffen. Man könnte hier der Auffassung sein, dass eine solche Beschränkung dem Wettbewerbsgrundsatz zuwiderlaufe. Der Vergabesenat ist hier, aus meiner Sicht richtiger Weise, anderer Auffassung:

„Bei diesem Befund ist an der kritisierten Bestimmung nichts auszusetzen. Einschränkungen der beanstandeten Art sind Bietern zuzumuten. Mit Rücksicht auf die technischen Möglichkeiten von Textverarbeitungsprogrammen ist der ihnen dadurch entstehende Mehraufwand bei der Ausarbeitung des Angebots begrenzt. Ungeachtet dessen kann ausgeschlossen werden, dass der Antragstellerin aufgrund der beanstandeten Vorgabe Nachteile bei der Wertung ihres Angebots widerfahren sind.“

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Die Entscheidung gibt einige hilfreiche Hinweise, wie die Vergabeunterlagen rechtssicher zu gestalten sind:

Bei Durchführung eines Verhandlungsverfahrens sind die einzelnen Phasen, insb., die Regeln zur sog. Abschichtung sehr konkret und widerspruchsfrei schriftlich zu beschreiben. Dabei sind Konkretisierungen auch noch während des Verhandlungsverfahrens möglich (und nötig), freilich unter Beachtung der allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien.

Die Bewertungsmatrix und die Bewertungsmethode sind äußerst transparent zu gestalten. Dazu ist erforderlich, bei Verteilung einer Punktemarge (etwa 0-10 Punkte) für jedes Kriterium mitzuteilen, wann ein Bieter wie viele Punkte erreichen kann. Allgemeine Platzhalter wie „keine Zielerfüllung“, mittlere Zielerfüllung“, „hohe Zielerfüllung“ oder „unterdurchschnittlich“, „durchschnittlich“, überdurchschnittlich“ o.ä. reichen, zumindest im Zuständigkeitsbereich des OLG Düsseldorf nicht mehr (!) aus. Dieser strenge Maßstab dürfte für kreative und innovative Lösungen nicht gelten; dies ist jedoch noch nicht klar entschieden. Bzgl. der Bewertungsmatrix besteht derzeit ein erhebliches Risiko für Auftraggeber, dass diese wegen Intransparenz angegriffen wird. Dabei dürfte ein solcher Angriff auch noch in einem sehr späten Stadium des Verfahrens zulässig sein, da die Rechtsfragen hierzu komplex und noch nicht endgültig entschieden sind und ein Bieter somit eine Präklusion nach § 107 Abs. 3 GWB in aller Regel nicht zu befürchten hat.

Der Hinweis in den Vergabeunterlagen „Mehrerer Hauptangebote dürfen nicht eingereicht werden und führen zum Ausschluss aller Hauptangebote“ ist in aller Regel zulässig.

Eine Begrenzung der des Umfangs der Eintragungsmöglichkeiten in einen Kriterienkatalog oder eine Begrenzung der Seitenzahlen von einzureichenden Konzepten o.ä. ist in aller Regel ebenfalls zulässig.

The post Zu den Voraussetzungen an ein Verhandlungsverfahren und die Aufstellung von Bewertungskriterien (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2015–VII-Verg 28/14) appeared first on Vergabeblog.

Vergabesenat bekräftigt hohe Transparenzanforderungen an Bewertungsmatrix (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2015 – VII-Verg 25/15)

$
0
0
ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDas OLG Düsseldorf legt nach und unser Autor auch. Hatten die Richter bereits in der Entscheidung vom 21.10.2015 (VII-Verg 28/14, Vergabeblog.de vom 10/12/2015, Nr. 24401) die Hürde an den Bewertungsmaßstab hoch gelegt, bekräftigen sie ihre (strenge) Rechtsauffassung nun mit diesem weiteren Beschluss. Folge ist, dass u.a. die UfAB VI teilweise neu geschrieben werden muss.

§ 97 Abs. 1 GWB; § 107 Abs. 3 GWB

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schreibt Briefdienstleistungen aus. Wertungskriterien waren neben dem Preis unter anderem Prozesse und Organisation sowie Logistikkonzept. Gemäß dem bekannt gegebenen Bewertungssystem konnten bei den Wertungskriterien 0-3 Punkte erzielt werden.

Der Bewertungsmaßstab wurde in den Vergabeunterlagen wie folgt erläutert: Null Punkte, wenn es (das Angebot) nicht den sich aus den Ausschreibungsbedingungen ergebenden Anforderungen genügt,

  • Ein Punkt, wenn es mit Einschränkungen den sich aus dem Ausschreibungsgegenstand ergebenden Anforderungen genügt,
  • Zwei Punkte, wenn es vollumfänglich den sich aus dem Ausschreibungsgegenstand ergebenden Anforderungen genügt,
  • Drei Punkte, wenn es den sich aus dem Ausschreibungsgegenstand ergebenden Anforderungen besonders dienlich ist.

Weiterhin heißt es in den Vergabeunterlagen, dass ein Bieter mindestens zwei Punkte erreichen müsse, damit sein Angebot in die weitere Wertung gelange. Zu dem Wertungskriterium Logistikkonzept waren in den Vergabeunterlagen sieben Unterthemen (Unterpunkte, Unterkriterien) angegeben, auf welche Bieter im Angebot insbesondere eingehen sollten.

Die Entscheidung

Zunächst sei an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21.10.2015 – Verg 28/14 erinnert.

Darin hat das Gericht betont, dass der Transparenzgrundsatz erfordere, dass der Auftraggeber mitteilt, auf welche Gesichtspunkte es ihm bei der Bewertung vor allem ankommt. Daraus folgt in aller Regel, dass die Unterkriterien und ggf. Unter-Unterkriterien bekannt zu machen sind.

Diesen Anforderungen ist der Auftraggeber in der hier zu besprechenden Entscheidung zunächst gefolgt. Allerdings hat der Auftraggeber das o.g. Punkteschema allgemein gehalten und kein Punkteschema für das einzelne Unterkriterium vorgenommen. Dies sah der Vergabesenat als ungenügend an.

Wörtlich heißt es: Der vorstehend wiedergegebene Bewertungsmaßstab ist intransparent. Er lässt in Verbindung mit den aufgestellten Unterkriterien nicht zu, im Vorhinein zu bestimmen, welchen Erfüllungsgrad (Zielerreichungsgrad) die Angebote bei den Unterkriterien zum Logistikkonzept aufweisen müssen, um mit den festgelegten Punkten bewertet zu werden.

Anders ausgedrückt: Für Bieterunternehmen ist nicht zu erkennen gewesen, unter welchen Voraussetzungen konkret das Kriterium Logistikkonzept als nicht den Anforderungen genügend (null Punkte), als mit Einschränkungen den Anforderungen genügend (ein Punkt) oder als den Anforderungen besonders dienlich (drei Punkte) bewertet wird.
Auch bei der für das Erreichen der Mindestpunktzahl wichtigen mittleren Bewertung mit zwei Punkten (den Anforderungen vollumfänglich genügend) bleibt offen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen kleinere Einschränkungen gegebenenfalls noch das Testat vollumfänglich genügend rechtfertigen können.

IT_VT

Wie ich bereits in der Besprechung der Entscheidung vom 21.10.2015 – Verg 28/14 resümierte, kann eine solche Transparenzstrenge einen Nivellierungseffekt der Angebote mit sich bringen, da die Bieter (wenn sie nicht ganz auf den Kopf gefallen sind) den Bewertungsmaßstab des Auftraggebers, also dessen Erwartungshaltung, spiegelbildlich beantworten werden, um eine möglichst hohe Leistungspunktzahl zu erzielen.

Dem Vergabesenat ist dies auch bewusst, wenn er weiter schreibt: Bieterunternehmen haben deswegen nicht im Vorhinein beurteilen können, auf welche konkreten Leistungen die Antragsgegnerin besonderen und gegebenenfalls unverzichtbaren Wert gelegt hat, und sie haben ihre Angebote nicht daran ausrichten können. So ist Anbieter-Unternehmen aufgrund des bekannt gegebenen Wertungsmaßstabs auch verschlossen geblieben, welche Angebotsdefizite bei welchen Unterkriterien ein Abzug von einem oder von zwei Punkten veranlassen ein im Streitfall für das Erreichen der Mindestpunktzahl (zwei Punkte) ganz wesentlicher Umstand.

In einer Entscheidung aus dem Jahre 2009 hieß es noch, dass dem Auftraggeber auf der letzten Ebene der Angebotswertung ein Wertungsspielraum verbleibt (Beschluss vom 30.07.2009 – VII-Verg 10/09). Es fragt sich in Anbetracht der jüngsten Rechtsprechung, wann diese Ebene für den Auftraggeber beginnt. Dies gilt es in Zukunft genauer auszuloten. Beurteilungsfreiräume sollten den Auftraggebern meiner Meinung nach auf jeden Fall verbleiben, wo innovative Lösungen bewertet werden sollen, da es dem Auftraggeber naturgemäß nicht möglich ist und von ihm auch nicht gewünscht sein dürfte mögliche innovative Lösungswege vorzuschlagen. Überträgt man diesen Gedanken auf das hier in Rede stehende Logistikkonzept, so wäre etwa denkbar, dass der Auftraggeber ein Unterkriterium Innovative Aspekte der angebotenen Lösung vorsieht und dann beim Bewertungsmaßstab zwar einen konkreten Punktemaßstab zuordnet, aber zwangsläufig nicht weiter konkretisiert. Ein Beispiel:

  • Ein Angebot enthält keine innovativen Lösungen (0 Punkte),
  • Angebot enthält innovative Lösung, die für die Leistungserbringung nützlich sein kann (1 Punkt),
  • Angebot enthält innovative Lösung, die für die Leistungserbringung dienlich sein kann (2 Punkte), etc.

Dass ein allgemeines Punkteschema, das quasi vor die Klammer gezogen ist, nicht zulässig ist, bekräftigt der Vergabesenat in der Entscheidung durch folgenden Hinweis: Der Streitfall weist zugleich Parallelen zu solchen Fallgestaltungen auf, in denen der Auftraggeber den Bewertungsmaßstab ausschließlich an einem sogenannten Schulnotensystem ausgerichtet hat. Darauf dürften diese Mängel, wie vorstehend erörtert, zutreffen.

Die Relevanz der neuen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf sei für die in diesem Beitrag zu lesenden Praktika noch einmal besonders hervorgehoben: Sie läutet eine neue Strenge in Bezug auf die Bewertungsmatrix ein. Hierauf weist der Vergabesenat auch selbst hin, indem er mitteilt, dass eine Verletzung der Rügeobliegenheit nicht infrage stehe, weil die Bieter den Rechtsverstoß nicht hätten erkennen können. Im Gegenteil, so das Gericht: Bewertungsmaßstäbe der vorliegenden Art gelten weiterhin als statthaft.

In der jüngst erschienenen Neuauflage der UfAB VI, Version 1.0 vom 30.04.2015 heißt es auf Seite 153: An die Antworten der Bieter, beispielsweise unterteilt in drei Wertebereiche:

  • Wertebereich I mit 8 bis 10 Punkten: Hoher Zielerfüllungsgrad
  • Wertebereich II mit 4 bis 7 Punkten: Durchschnittlicher Zielerfüllungsgrad
  • Wertebereich III mit 0 bis 3 Punkten: Geringer Zielerfüllungsgrad

Wünschenswert wäre eine genaue Festlegung der Zielerfüllungsgrade (auch: Erwartungshaltungen) für jeden Punktewert von 1 bis 10. Dies ist aber aus Aufwandsgründen kaum praktikabel. Die Mütter und Väter der UfAB weisen nicht zu Unrecht auf die fehlende Praktikabilität eines differenzierten Punktemaßstabs hin. Leider ist dieser Hinweis aber überholt und kann bei Auftraggebern zu einem eklatanten Fehler im Vergabeverfahren führen. Hier ist Vorsicht geboten, der Hinweis sollte spätestens in der UfAB VI, Version 2.0, überarbeitet werden.

DVNW_Akademie_HinweisPraxistipp

Die Entscheidung führt, zumindest soweit das OLG Düsseldorf für Sie zuständig ist, dazu, dass sämtliche Vordrucke in Bezug auf Bewertungsmaßstäbe und Bewertungsmatrizen überprüft und gegebenenfalls angepasst (konkretisiert) werden müssen.

Außerdem wird es nicht mehr so einfach möglich sein, allgemeine Vorlagen zu verwenden; der Bewertungsmaßstab ist immer für die konkret benannten und beschriebenen Unterkriterien anzugeben. Die Entscheidung betraf den Oberschwellenbereich. Da das Gericht die tragenden Gründe jedoch aus dem Transparenzgrundsatz abgeleitet hat, ist kein Grund ersichtlich, im Unterschwellenbereich eine andere Wertung vorzunehmen.

Ich wage abschließend noch die Prognose, dass einige Auftraggeber wegen der strengen Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Bewertungsmatrix (und dem damit verbundenen Aufwand und Risiken) dazu übergehen werden, den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium festzulegen.

Anmerkung der Redaktion
Richterin am Oberlandesgericht Brackmann, Vergabesenat OLG Düsseldorf, wird zu der Thematik „Preispunkte oder Preismatrix?“ unter dem Thema Bewertungsmethoden auf dem 1. IT-Vergabetage am 28. April in Berlin sprechen. Das Vollständige Programm sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

The post Vergabesenat bekräftigt hohe Transparenzanforderungen an Bewertungsmatrix (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2015 – VII-Verg 25/15) appeared first on Vergabeblog.

Leitfaden zur Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber unter besonderer Berücksichtigung von Gebrauchtsoftware (Teil 1)

$
0
0
ITKLiefer- & DienstleistungenUNBEDINGT LESEN!

LeitfadenDie Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber birgt für diese, ebenso wie für Bieter, diverse Stolperfallen. Um derartige Hindernisse souverän zu bewältigen, hat Dr. Roderic Ortner einen Leitfaden für öffentliche Auftraggeber entworfen, in dem er sich insbesondere mit Lösungen für die zusätzlichen Probleme befasst, die der Erwerb von „gebrauchter” Software mit sich bringt. Dieser Blogbeitrag, der aus zwei Teilen besteht, fasst die wesentlichen Gesichtspunkte des Leitfadens zusammen. Den Leitfaden können Sie über den Vergabeblog hier herunterladen.

Einleitung und Einführung in den Leitfaden

Unsere öffentliche Verwaltung befindet sich im Effizienzmodus. Der Tinte des Geheimen Legationsrats Johann Wolfgang von Goethe sind längst Maus und Tastatur gewichen und mit diesen werden heute Computerprogramme bedient. Möglicherweise wäre der talentierte Herr Goethe sogar ein guter Programmierer geworden. Denn ein Computerprogramm ist „eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinenlesbaren Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt“ (§ 1 (i) der Mustervorschriften der WIPO). Einfacher ausgedrückt: Ein Computerprogramm ist ein Buch in Computersprache und wie auch ein Buch urheberrechtlich geschützt. Die Reichweite des Schutzes kann freilich durch Gestaltung der Nutzungsrechte (Lizenzbedingungen) eingeschränkt werden. Die Einzelheiten sind freilich komplex, und teilweise umstritten. Der Leitfaden soll hier dem öffentlichen Auftraggeber helfen, Hintergründe zu verstehen und keine Fehler zu machen. Dazu enthält er Praxishinweise und konkrete Formulierungsvorschläge.

Gleichbehandlung von Neusoftware und Gebrauchssoftware

Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Buch und Computerprogramm: Während die Konservatoren der Anna Amalia Bibliothek versuchen müssen, den Verfall Goethes Schriften aufzuhalten, bleibt ein Computerprogramm (engl. Software) bestehen. Diese einfache Erkenntnis ist wichtig, da Software weitergereicht werden kann, ohne irgendwann Verschleißerscheinungen aufzuweisen. Insofern ist es bereits vom allgemeinen Sprachgebrauch missverständlich, von „gebrauchter“ Software zu sprechen und aus Beschaffersicht daher auch falsch, gebrauchte Software gegenüber neuer zu diskriminieren. Der Europäische Gerichtshof und ihm folgend der Bundesgerichtshof betonen unlängst die Verkehrsfähigkeit von Software. Hier zeigt sich wieder die Ähnlichkeit zum Buch: Ein einmal erworbenes Buch darf der Eigentümer weiterverkaufen, das muss auch für Software gelten. In der Konsequenz darf „gebrauchte“ (engl. used) Software gegenüber „neuer“ Software auch nicht diskriminiert werden. Dies hat der öffentliche Beschaffer bei der Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens zu beachten, wenn er sich nicht angreifbar machen will. Der Leitfaden enthält hierzu konkrete Vorschläge.

Leistungsgegenstand und die Leistungsbeschreibung

Unter Standardsoftware ist in Abgrenzung zur Individualsoftware ein Softwareprogramm, Programm-Modul, Tool oder ähnliches zu verstehen, das für die Bedürfnisse einer Mehrzahl von Kunden am Markt und nicht speziell für den Auftraggeber vom Softwarehersteller entwickelt wurde. Aus o.g. Gründen ist es zunächst nicht ratsam, in der Leistungsbeschreibung oder dem Kriterienkatalog anzugeben, dass eine solche Standardsoftware zwingend Neusoftware sein soll. Bei der Leistungsbeschreibung sollten Einkauf, juristische Abteilung und der technische Bedarfsträger eng zusammenwirken, da andernfalls die Gefahr von Widersprüchen zwischen Leistungsbeschreibung und EVB-IT Vertrag besteht. Wie stets bei der Er- und Zusammenstellung der Vergabeunterlagen hat der Auftraggeber zudem darauf zu achten, dass er einen wirksamen Wettbewerb gewährleistet und so möglichst vergleichbare Angebote erhält, die seinen Anforderungen entsprechen. Daher hat eine möglichst präzise und erschöpfende Beschreibung des Leistungsgegenstands in der Leistungsbeschreibung zu erfolgen, was bei komplexen Programmen schier unmöglich zu sein scheint, so dass man sich häufig auf die Angabe eines Leitprodukts beschränkt.

Eignungskriterien

Der öffentliche Auftraggeber prüft, ob das Unternehmen, das sich mit einer bestimmten Standardsoftware am Vergabeverfahren beteiligt, auch die erforderliche Eignung mitbringt. Bei Software geht es hier häufig um bestehende Zertifizierungen durch den Hersteller und, wenn auch Software-Pflege beschafft wird, um den Nachweis, dass solche Pflegeleistungen in der Vergangenheit bei anderen Kunden zu deren Zufriedenheit durchgeführt wurden (was durch Referenzen zu belegen ist). Entscheidend ist letztlich, welches Unternehmen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags nach den festgelegten Vorgaben fähig ist. Diese Kriterien sind zwingend schon in der Bekanntmachung anzugeben. Hat sich der Auftraggeber für einen Erwerb ohne Pflegeleistungen entschieden, sollten die Kriterien auf ein Minimum beschränkt werden, um einen breiten Wettbewerb zu ermöglichen. Zu beachten ist unbedingt, dass das Gesetz die Nachweise bzgl. der beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit abschließend aufführt. Daher ist eine Formulierung der Abfrage der Belege möglichst nah am Gesetzeswortlaut empfehlenswert. Auch hierzu gibt der Leitfaden konkrete Vorschläge.

Ankündigung von Teil 2
Im nächsten Teil wird der Autor auf die beizufügenden Vertragsbedingungen (Wahl der richtigen EVB-IT), deren Befüllung sowie auf die Zuschlagskriterien (insb. das Thema „Offenlegung der Rechtekette“) und deren rechte Formulierung eingehen.

The post Leitfaden zur Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber unter besonderer Berücksichtigung von Gebrauchtsoftware (Teil 1) appeared first on Vergabeblog.

Strenge Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Transparenzpflicht der Bewertungsmethode nach EuGH-Entscheidung nicht mehr haltbar

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenUNBEDINGT LESEN!

Die Vergabewelt ist derzeit einigermaßen verunsichert wegen der strengen nationalen Rechtsprechung in Bezug auf die Transparenzanforderungen an die Bewertungsgrundlagen. Allen voran das OLG Düsseldorf. Das EuGH-Urteil in Sachen TNS Dimarso schlug dann datumsgerecht wie eine kleine Revolution ein und wird bereits fleißig rezipiert. Dr. Roderic Ortner schreibt die erste Analyse von Dr. Peter Neusüß () fort – und kommt an einer entscheidenden Stelle zu einem anderen, nämlich dem Titel dieses Beitrags tragenden Ergebnis. Aber lesen Sie selbst.

Peter Neusüß hat in seinem lesenswerten Blogbeitrag die Entscheidung des EuGH v. 14.07.2016 – C-6/15, “TNS Dimarso”  Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080 zusammengefasst und darin richtiger Weise erkannt, dass der EuGH einen weitaus weniger strengen Maßstab an die Transparenz der Bewertungsmethode anlegt, als z.B. das OLG Düsseldorf in etlichen Entscheidungen. In seinem Praxistipp resümiert Peter Neusüß an einer Stelle allerdings wie folgt:

„Da das Urteil des EuGH aber einer strengeren nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht, ist nicht auszuschließen, dass das OLG Düsseldorf an seiner Rechtsprechung festhält.“

Diese Auffassung dürfte europarechtlich nicht haltbar sein. Selbstverständlich muss das OLG Düsseldorf nun seine Rechtsprechung anpassen.

1. Worum es ging und die Vorlagefrage

Entscheidungserheblich und Gegenstand der Vorlagefrage zum EuGH war, ob die Angabe des Auftraggebers

„Qualität des Angebots (50/100). Qualität der Vorbereitung, Organisation und Ausführung der Feldarbeit, der Kodierung und ersten Auswertung der Daten. Die angebotenen Leistungen müssen so detailliert wie möglich beschrieben werden. Aus dem Angebot muss eindeutig hervorgehen, dass der Bieter in der Lage ist, den gesamten Auftrag (mindestens 7 000 Stichprobeneinheiten/maximal 10 000 Stichprobeneinheiten) innerhalb der vorgesehenen Ausführungsfrist von 12 Monaten auszuführen und Preis (50/100)“

mit der Vergaberichtlinie vereinbar sei, da nichts zu der Bewertungsmethode transparent gemacht wurde.

Die Vorlagefrage lautete demnach konkret:

„Ist Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 für sich genommen und in Verbindung mit der Tragweite der europarechtlichen Grundsätze der Gleichheit und Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn der Auftrag an den Bieter mit dem aus seiner Sicht wirtschaftlich günstigsten Angebot vergeben wird, stets dazu verpflichtet ist, die Bewertungsmethode oder die Gewichtungsregeln – wie vorhersehbar, gängig oder weitreichend sie auch sein mag bzw. mögen -, anhand deren die Angebote nach den Zuschlagskriterien oder Unterkriterien bewertet werden sollen, stets im Voraus festzulegen und in die Bekanntmachung oder Verdingungsunterlagen aufzunehmen,“ [Hervorhebung hier]

In Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 wird übrigens vorgeschrieben, dass der öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen die Zuschlagskriterien anzugeben hat und wie die einzelnen Kriterien gewichtet werden, um das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln. Die Nachfolgerichtlinie enthält in Art. 67 Abs. 5 Richtlinie 2014/24 die gleiche Regelung und heute ist dies bei uns in § 58 Abs. 3 VgV umgesetzt.

Im neuen Recht hat sich also nichts geändert, so dass das Urteil des EuGH heute nicht anders ausgefallen wäre und ohne weiteres übertragen werden kann.

2. Rechtsfolge für die nationale Rechtsprechung

Zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, was der EuGH da eigentlich macht. Das Vorabentscheidungsverfahren dient in erster Linie der Wahrung der Einheit und der Einhaltung des Unionsrechts (Karpenstein, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Loseblattsammlung, Stand: Jan. 2016, Art. 267 AEUV, Rn. 2). Ein hieraus hervorgehendes Urteile des EuGH erläutert, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Unionsvorschrift zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre, woraus auch folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf andere Rechtsverhältnisse und Rechtsstreitigkeiten anwenden müssen (Karpenstein, a.a.O., Rn. 104).

Das ergibt ja auch Sinn. Angenommen, der nationale Gesetzgeber hätte in § 58 VgV hineingeschrieben, dass nicht nur die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung, sondern auch die Bewertungsmethode transparent zu machen sind, dann würde sich die Frage stellen, ob der nationale Gesetzgeber strenger sein durfte als die Richtlinie. Eine solche sog. „überschießende Richtlinienumsetzung“ ist nur möglich, wenn der überschießende Teil von der Richtlinie schlichtweg nicht geregelt werden sollte, so dass dieser bei den nationalen Gesetzgebern verbleibt. Hier aber regelt die Richtlinie abschließend die Anforderungen an die Transparenz bzgl. der Zuschlagskriterien. Es ist also gar kein Raum für eine strengere nationale Gesetzgebung. Das Erfordernis der Bekanntgabe kann dann auch nicht aus dem allgemeinen Transparenzerfordernis entwickelt werden, da Art. 67 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24 und § 58 Abs. 3 VgV vollharmonisierende Ausprägungen dieses Grundsatzes sind. Diese Frage stellte sich auch bei TNS Dimarso, dort wird ausdrücklich auch gefragt, ob sich eine solche Bekanntmachungspflicht auf den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen ergeben könnte, was der EuGH verneinte.

Schließlich ist an das übergeordnete Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts zu erinnern, es ist das grundlegende und wichtigste Prinzip und besagt, dass sämtliches Unionsrecht sämtlichem nationalen Recht vorgeht (ständige Rspr. seit nur EuGH, Urteil vom 15.07.1964, C-6/64, Costa/Enel).

Das OLG Düsseldorf (und alle anderen Gerichte in der EU auch) dürfen daher die Richtlinie 2014/24 nicht dahingehend auslegen, dass die Bewertungsmethode zwingend zu veröffentlichen ist. Dies wäre eine unzulässige überschießende Richtlinieninterpretation.

3. Zurück zum Beurteilungsspielraum

Es gab einmal eine schöne, eine richtige Entscheidung des Düsseldorfer Vergabesenats vom (30.07.2009 – Verg 10/09). Dort hieß es mal:

„Der Auftraggeber muss für die Angebotswertung kein bis in letzte Unterkriterien und deren Gewichtung gestaffeltes Wertungssystem aufstellen, das im Übrigen dann auch Gefahr liefe, endlos und unpraktikabel zu werden. Insoweit ist auch daran zu erinnern, dass der Auftraggeber auf der letzten Ebene der Angebotswertung einen Wertungsspielraum hat. Dieser darf nicht dadurch eingeschränkt werden, dass er vergaberechtlich in jedem Fall daran gebunden wird, im Voraus in mehrstufige Unterkriterien und entsprechende Gewichtungen aufgegliederte Bewertungsregeln aufzustellen (und diese den Bietern in der Regel mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekanntzugeben). Von daher ist nicht zu beanstanden, wenn sich der Auftraggeber auf der vierten Stufe der Angebotswertung in einem Restbereich eine freie Wertung vorbehält.“

Wenn man das liest, mag man sich heute die Augen reiben. Denn sieben Jahre später sieht die Welt ganz anders aus, obwohl dazwischen weder das Gesetz geändert wurde noch eine höherrangige Rechtsprechung einen strengeren Maßstab geböte, im Gegenteil.

Heute fürchtet sich der Vergabesenat anscheinend vor einer Manipulation wie der Teufel das Weihwasser. Richtig ist jedoch, dass subjektive Zuschlagskriterien gesetzlich zulässig sind, ja sogar das Kriterium „Ästhetik“. Und natürlich sind solche Kriterien bei der Bewertung einer Manipulation zugänglich, aber das ist hinzunehmen. Hier muss man darauf vertrauen, dass der Bewertende sich allein mit der Sache befasst. Der Vergabesenat geht aber von dem korrumpierbaren Bewerter aus, das ist schade, und vergaberechtlich weder geboten noch zulässig. Die Bewertung eines Konzepts etwa ist mit der Prüfungssituation an Universität oder Schule vergleichbar, so auch mal der Vergabesenat.

DVNW_Mitglied

Beispiel:

1. Der Schüler muss als Aufgabe das Gedicht „Die Greisin“ von Rilke interpretieren. Diese Aufgabenstellung genügt, um die Erwartungshaltung des Lehrers mitzuteilen. Denn der Schüler hat Ähnliches geübt und wendet nun die Methoden an, die er zuvor gelernt hat. Der Lehrer benotet die Interpretation auf Basis des Schulnotensystems und begründet seine Entscheidung. Dem Lehrer muss man nun vertrauen, dass er allein die Interpretation bewertet und sich nicht von anderen Dingen beeinflussen lässt, etwa, dass der Schüler häufig zu spät kommt.

2. Der öffentliche Auftraggeber verlangt von einer bietenden Marketingagentur ein Konzept. Die Erwartungshaltung lautet: Wie kann man den öffentlichen Auftraggeber und seine Serviceleistungen bei den Bürgern bekannter machen? Der Bieter ist Spezialist auf seinem Gebiet und erstellt ein Konzept. Der öffentliche Auftraggeber prüft dieses Konzept und bewertet es mit einer Schulnote. Auch hier muss dem Auftraggeber das Vertrauen entgegengebracht werden, dass er allein die inhaltliche Qualität des Konzepts bewertet und sich nicht durch fremde Umstände beeinflussen lässt. Damit es allein nicht auf die subjektive Ansicht eines Bewertenden ankommt, müssen ohnehin mindestens zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers nach dem vier-Augen-Prinzip an der Entscheidung über den Zuschlag und mithin an der Bewertung des Konzepts mitwirken, § 58 Abs. 5 VgV.

Wenn man nun verlänge, den Bewertungsmaßstab noch weiter auszudifferenzieren, dann wäre das so, als gäbe der Lehrer den Schülern eine Übersichtstabelle, in welcher zum Beispiel stünde: „Gehen Sie auf das Versmaß ein“. Das dazu gehörende und dem Schüler zur Wahrung der erforderlichen Transparenz ebenfalls auszuteilende Bewertungsschema sieht dann vor: „Der Schüler hat das Versmaß richtig erkannt“ (2 Punkte). Dieses Szenario führt also dazu, dass dem Schüler bzw. dem Bieter im Vorhinein das zugeflüstert wird, was er schreiben muss, um die volle Punktzahl zu erreichen, obwohl gerade die Fähigkeit, dies ohne Zuflüstern zu erkennen, geprüft werden soll. Auf dem Prüfstand steht gerade die Fähigkeit des Schülers, solche Aufgaben umzusetzen, indem Gelerntes und Studiertes angewandt wird. Nach OLG Düsseldorf bleibt hierfür bei der Bewertung aber kein Platz mehr. Ebenso wenig können Aspekte positive Berücksichtigung finden, die der Auftraggeber selbst nicht gesehen hat (gerade deshalb schreibt er ja auch die Leistung aus!). Er möchte den Bieter, dessen Konzept überzeugt, belohnen, kann es aber nicht, da ihm das OLG Düsseldorf – anders als früher – auf der letzten Stufe keinen Beurteilungsspielraum mehr lässt. Folge ist, dass die Schulen nun nach amerikanischem Vorbild auf Multiple-Choice umstellen – und die Auftraggeber tun dies auch, oder – den Beschwerden des Bedarfsträger folgend – bezuschlagen Angebote nur noch auf Grundlage des geringsten Angebotspreises. Die gesetzliche Intention aber ist eine andere. Dies jedenfalls ergibt sich meines Erachtens deutlich aus den folgenden Randnummern 29 und 30 des EuGH-Urteils, der damit für diesen Beitrag auch das letzte Wort haben soll:

„[29] Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass ein Bewertungsausschuss bei der Erfüllung seiner Aufgabe über einen gewissen Freiraum verfügen muss und somit, ohne die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung festgelegten Zuschlagskriterien zu verändern, seine Tätigkeit der Prüfung und Bewertung der eingereichten Angebote strukturieren darf (vgl. Urteil vom 21. Juli 2011, Evropaïki Dynamiki/EMSA, C-252/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:512, Rn. 35).

[30] Dieser Freiraum ist auch aus praktischen Erwägungen gerechtfertigt. Der öffentliche Auftraggeber muss in der Lage sein, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, an die Umstände des Einzelfalls anzupassen.“

The post Strenge Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Transparenzpflicht der Bewertungsmethode nach EuGH-Entscheidung nicht mehr haltbar appeared first on Vergabeblog.

Leitfaden zur Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber unter besonderer Berücksichtigung von Gebrauchtsoftware (Teil 2)

$
0
0
ITKRechtUNBEDINGT LESEN!

In dem ersten Teil dieses Beitrags hat unser langjähriger Autor Dr. Roderic Ortner den Lesern einen ersten Einblick in den von ihm erstellten Leitfaden zum Erwerb von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber gewährt. Den Leitfaden können Sie über den Vergabeblog hier herunterladen.  In diesem zweiten Teil wird Dr. Ortner nun kurz auf die Vertragsbedingungen, die Eignungskriterien sowie die verschiedenen zulässigen Vergabeverfahren eingehen.

 

Die Vertragsbedingungen

Neben den Bewerbungsbedingungen und der Aufforderung zur Angebotsabgabe sind auch die Vertragsbedingungen ein essentieller Bestandteil der Vergabeunterlagen, denen diese als separates Dokument beizufügen sind. Auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern ist neben der in der Regel in den Vertrag einzubeziehende VOL/B auch die EVB-IT Überlassung (Typ A) in Verträge über den Erwerb von Standardsoftware einzubeziehen. Auch die Überlassung-AGB finden in diesen Fällen Geltung. Anpassungen der vorformulierten EVB-IT Formulare sind möglich und sollten kenntlich gemacht werden. Auch dazu bietet der Leitfaden genaue Hinweise und Formulierungsvorschläge.

Eine erhebliche Falle besteht für den öffentliche Auftraggeber im Bezug auf die EVB-IT darin, dass er diese zu spät, d.h. erst nach dem Zuschlag, aufsetzt und abschließt. Ein derartiges Vorgehen verstößt jedoch gegen den Transparenz- und den Wettbewerbsgrundsatz ebenso wie das nachträgliche Verhandlungsverbot. Daher sollte der öffentliche Auftraggeber sich vorab auch eingehend mit den Vertragsbedingungen auseinandersetzen und determinieren, ob und wie er diese an sein spezielles Vorhaben eventuell anpassen will.

Zuschlagskriterien bei Standardsoftware

Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Welches Angebot das wirtschaftlichste ist, bestimmt sich auf Grundlage der vom öffentlichen Auftraggeber festzulegenden Zuschlagskriterien. Anhand dieser Kriterien wird das beste Preis-Leistungs-Verhältnis ermittelt. Neben dem Preis der Leistung können weitere rein leistungsbezogene Kriterien in die Bewertung der Angebote einbezogen werden, so z.B. die Kosten, die Liefer- und Ausführungsfristen sowie umweltbezogene, qualitative oder soziale Aspekte. Auch hier ist zu beachten, dass alle Kriterien und deren Gewichtung spätestens in den Vergabeunterlagen aufzuführen sind. Die Praxis ist mit solchen komplexen Kriterienkatalogen aber häufig überfordert und/oder hat schlicht das Budget nicht, so dass sie sich bei Standardsoftware in der Regel auf den Preis beschränkt. Zumindest bzgl. der Frage der Nutzungsrechte ist das aber ein Fehler, da auch Anbieter von Gebrauchssoftware grundsätzlich zugelassen sein müssen. Dann aber ist für die Rechtsicherheit des später ausgelebten Vertrages äußerst wichtig, dass man sich als Auftraggeber die lückenlose Rechtekette bei angebotener Gebrauchssoftware darlegen lässt. Hier ist zu empfehlen, ein entsprechendes Zuschlagskriterium vorzusehen. Auch diesbezüglich enthält der Leitfaden praktische Tipps und Formulierungshilfen und anschauliche Beispiele, wie die EVB-IT Vorlagen vorausgefüllt werden können, bevor sie den Vergabeunterlagen beigefügt werden.

Das zulässige Vergabeverfahren

Es handelt sich bei dem Erwerb von Standardsoftware um einen Lieferauftrag, der, da er in den Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB fällt, nach Wahl des öffentlichen Auftraggebers in einem offenen oder nicht offenen Verfahren vergeben werden kann.

Anders als beim Zukauf von bereits vorhandenen Lizenzen ist für die Erstbeschaffung von Standardsoftware kein direkter Erwerb vom Vorlieferanten denkbar. Bei unterschwelligen Verfahren sind die unterschiedlichen nationalen Vergabeverfahren zulässig, während bei allen Aufträgen, die die gesetzlichen Schwellenwerte übersteigen, allein die öffentliche Ausschreibung zulässig ist.

Für diese und weitere Problemstellung bietet das von Dr. Ortner zusammengestellte Dokument Lösungsansätze. Der Leitfaden schließt nach diesen ausführlichen Tipps und Tricks bezüglich der einzelnen Punkte des Verfahrens mit eine Checkliste, die aus den wichtigen Fragen besteht, die sich jeder öffentliche Auftraggeber vor der Zusammenstellung der Vergabeunterlagen stellen sollte.

Praxistipp: Nachweis der Rechtekette beim Kauf von Gebrauchtsoftware

Öffentlichen Auftraggebern ist zu empfehlen, als Zuschlagskriterium Folgendes festzulegen:
„Zuschlagskriterium: Beleg der Erschöpfung des Verbreitungsrechts. Sollte ein Angebot über eine Gebrauchtsoftware nach Wertung in die engere Zuschlagswahl gelangen, so wird der öffentliche Auftraggeber den betreffenden Bieter noch vor Zuschlagserteilung auffordern darzulegen, dass sich das Verbreitungsrecht an der angebotenen Software erschöpft hat. Hierzu sind folgende Erklärungen und Unterlagen vorzulegen¹:

  1. Den Namen des Ersterwerbers sowie die Namen aller nachfolgenden Erwerber, („Rechtekette“) unter Offenlegung der zugrundeliegenden Lizenzvertragsnummern,
  2. Belege über die Unbrauchbarmachung aller Kopien der Software beim Ersterwerber und aller nachfolgenden Erwerber,
  3. Vorlage mindestens der Produktnutzungsrechte zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ersterwerber,
  4. Bestätigung, dass Verbesserungen und Aktualisierungen von einem zwischen dem Urheberrechtsinhaber und dem Ersterwerber abgeschlossenen Vertrag gedeckt sind,
  5. Nachweis, dass die Softwarelizenzen in der EU bzw. einem Staat des EWR in Verkehr gebracht, wurden,
  6. Erklärung, dass der Bieter im Fall der Bezuschlagung vor Überlassung der Software sämtliche bei ihm verbliebenen Kopien unbrauchbar macht.

Sollte dem Bieter die Darlegung misslingen, so ist sein Angebot zwingend auszuschließen.“


Hinweis der Redaktion:
Der Autor, Herr Rechtsanwalt Dr. Ortner, wird beim 2. IT-Vergabetag, bei dem die Beschaffung von IT-Leistungen im Vordergrund steht, den Workshop: „Festlegung und Bewertung qualitativer Wertungskriterien bei IT-Vergaben“ durchführen. Informationen sowie eine Anmeldemöglichkeit zum 2. IT-Vergabetag am 6. April 2017 in Berlin finden Sie unter www.it-vergabetag.de.


¹Diese Pflicht verstößt nicht gegen den Nichtdiskriminierungsgrundsatz, da hier ein sachlicher Grund vorliegt. Sie verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Eigenerklärung, da dieser bei der Eignung greift und nicht wie hier auf Zuschlagsebene. Eine Rügepflicht gemäß § 377 HGB bezüglich der Unterlagen besteht nicht, dies würde die Rügepflicht des § 377 HGB überstrapazieren (a.A. Kubach/Hunzinger, CR 2016, 213, 215). Unabhängig davon handelt es sich bei Geschäften mit öffentlichen Auftraggebern in aller Regel ohnehin nicht um Handelsgeschäfte. Vorsichtshalber könnte der öffentliche Auftraggeber die Prüfpflicht in den Vertragsunterlagen abbedingen.

The post Leitfaden zur Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber unter besonderer Berücksichtigung von Gebrauchtsoftware (Teil 2) appeared first on Vergabeblog.

Vergabe von agilen Softwareentwicklungsverträgen nach Scrum

$
0
0
ITKRechtUNBEDINGT LESEN!

Logo-RechtsbeitraegeBei der Entwicklung komplexer Leistungen mit sich ständig ändernden Anforderungen wird in der Industrie standardmäßig agil vorgegangen. Auch öffentliche Auftraggeber sind zunehmend an diesem Modell zur Beschaffung von Leistungen interessiert, z.B. zur Beschaffung einer individuell zugeschnittenen Verwaltungssoftware oder aber einer neuen komplexen Homepage. Es fehlen jedoch Vorlagen für Bewerbungsbedingungen, Verträge sowie Eignungs- und Zuschlagskriterien, die eine agile Vorgehensweise berücksichtigen; es fehlen somit sog. „best practices“. Unser Autor Dr. Roderic Ortner, ein ausgewiesener Experte für IT-Beschaffungen, hat sich auf dieses im Vergaberecht neue Terrain begeben und auch schon entsprechende Ausschreibungen begleitet. In seinem Beitrag gibt er am Beispiel der Vergabe eines agilen Softwareentwicklungsvertrages einen Überblick über die Pflöcke, die im Vergabeverfahren einzuschlagen sind, dabei beschränkt er sich auf das Modell Scrum1.

I.  Die Vorgehensweisen

Bei der Vergabe anspruchsvoller und komplexer Softwareentwicklungsleistungen stehen die öffentlichen Auftraggeber häufig vor dem Problem, dass die Leistungsbeschreibung, an der sie oft Monate lang gearbeitet haben – meist unterstützt durch kostenintensive externe Hilfe – im Zeitpunkt der Vergabe bereits in Teilen überholt ist, entweder, da sich die Technik weiterentwickelt hat (oder nicht mehr „supportet“ wird), oder da die Fachbereiche (Bedarfsträger) beim Auftraggeber zwischenzeitlich dem Einkauf (Vergabestelle) andere oder neue Anforderungen und Wünsche angetragen haben. Häufig wird dann auch erst bei der Auswertung der Angebote festgestellt, dass die Lösungen nicht (mehr) passen. Es kann auch passieren, dass erst nach der Programmierung und Implementierung der Software festgestellt wird, dass die nun abzunehmende Lösung an den Vorstellungen, die man heute hat, vorbeigeht. Änderungen sind dann oft gar nicht oder nur schwer möglich, da sie häufig die Struktur der Softwarelösung als solche betreffen und kostenpflichtige Nachträge nach sich ziehen („change requests“). Alle Nachträge sind bekanntlich wiederum auf den vergaberechtlichen Prüfstand gemäß § 132 GWB zu stellen.

1. Das sog. Wasserfallmodell

Die arbeitsreiche Erstellung einer Leistungsbeschreibung, die dann in den Markt gegeben wird und in toto umzusetzen ist, nennt man auch „Wasserfallmodell“. Im Bereich der Softwareentwicklung handelt es sich dabei um einen Werkvertrag, da die erstellte Software das abzunehmende Werk darstellt. Greift man als öffentlicher Auftraggeber auf einen EVB-IT Vertrag zurück, bietet sich hierzu der EVB-IT Erstellungsvertrag an.

2. Das sog. agile Vorgehensmodell

Die Nachteile, die das Wasserfallmodell mit sich bringen können hat vor über zehn Jahren dazu geführt, dass andere Modelle entwickelt wurden, bei denen der Auftragnehmer die Software für den Kunden nicht en bloc auf Grund einer eindeutig und erschöpfenden Leistungsbeschreibung programmiert und dann das Ergebnis abliefert, sondern in regelmäßigen Treffen mit dem Auftraggeber die im Vorfeld nur funktional beschriebenen Anforderungen nach und nach konkretisiert, einzeln umsetzt und in weiteren Treffen präsentiert; es wird also „agil“ vorgegangen. Das agile Modell hat sich (belegbar) in der Praxis als das erfolgreichere herausgestellt. Die Projektabbruchquote ist deutlich geringer als beim Wasserfallmodell. Ein agiles Vorgehen nach Scrum funktioniert aber nur, wenn es auf Seiten des Auftraggebers (des Kunden) einen verantwortlichen „Kümmerer“ gibt, der sich Vollzeit mit dem Projekt befasst und über die erforderlichen Befugnisse verfügt. Beide Modelle – Wasserfall und agil – haben freilich Vor- und Nachteile, die hier im Einzelnen nicht dargestellt werden können.

Praxistipp: Vor jeder Softwareentwicklung sollte der öffentliche Auftraggeber prüfen, welches Modell im Einzelfall für ihn das bessere ist, und ob das gewählte Modell auch im Hinblick auf die personellen Ressourcen umsetzbar ist.

Hier wird davon ausgegangen, dass der Auftraggeber die Vor- und Nachteile abgewogen hat und sich für das agile Modell entscheidet.

II. Vergaberecht und Scrum

Scrum ist das wohl bekannteste agile Modell. Die agile Vorgehensweise geschieht aber immer erst nach der Beauftragung, d.h. nach der Bezuschlagung. Das Scrum-Modell muss sich also in den Vergabeunterlagen, insbesondere im Softwareentwicklungsvertrag widerspiegeln. Hier beginnen die Schwierigkeiten in der Praxis, da es keine Vorlagen gibt, welche die Besonderheit des Auftraggebers als eine öffentliche staatliche Einrichtung berücksichtigt. Das V-Modell XT Bund Vers. 2.0 lässt eine inkrementelle Entwicklung zwar ausdrücklich zu, schweigt aber zur vergaberechtlichen Herangehensweise. Der EVB-IT Erstellungsvertrag kann zwar theoretisch als Grundlage für einen agilen Vertrag genutzt werden, er ist aber auf das Wasserfallmodell ausgerichtet, so dass man ihn sehr stark durch Änderungen im Text und durch Anlagen verbiegen müsste. Es droht, dass der Vertrag insgesamt intransparent wird und Widersprüchen in den Vergabeunterlagen entstehen. Daher ist ein Individualvertrag zu empfehlen, den die EVB-IT Nutzerhinweise für einen solchen Fall auch zulassen.

Praxistipp: Bei der Vergabe eines agilen Softwareentwicklungsvertrages passt kein EVB-IT Vertrag, so dass ein Individualvertrag zulässig und zu empfehlen ist.

Da im vergaberechtlichen Jargon die Vertragsbedingungen neben der Leistungsbeschreibung Bestandteile der Vertragsunterlagen sind, ist der agile Softwareentwicklungsvertrag vom öffentlichen Auftraggeber bereitzustellen. Der Umstand, einen solchen Vertrag zu vergeben führt außerdem dazu, dass auch an anderen Stellschrauben der Vergabeunterlagen zu drehen ist. Hierauf wird nachfolgend näher eingegangen.

1. Eignungskriterien

Die Eignungskriterien sind vom Gesetz bereits weitestgehend vorgegeben. Im Bereich der VgV bedeutet dies etwa, dass sich der Auftraggeber hinsichtlich möglicher Belege der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit an den abschließenden Katalog des § 46 Abs. 3 halten muss. Hinsichtlich der Nachweisführung durch Referenzen bietet es sich an, neben Referenzen zum Gegenstand der Ausschreibung auch Referenzen abzufragen, die belegen, dass der Bewerber in anderen Projekten bereits Erfahrungen im Bereich Scrum gesammelt hat. Darüber hinaus liegt es nahe, die weiteren bei IT-Vergaben üblichen Kriterien abzufragen, etwa die Beschreibung der Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Unternehmen.

2. Zuschlagskriterien

a. Leistungskriterien

Bei Scrum besteht das Scrum Team aus dem Product Owner, dem Entwicklungsteam und dem Scrum Master. Aufgrund seiner Funktion ist der Product Owner in der Regel im Lager des öffentlichen Auftraggebers, während die anderen Teammitglieder vom Auftragnehmer gestellt werden. Als Zuschlagskriterium bietet es sich daher an, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VgV „die Organisation, Qualifikation und Erfahrung“ des einzusetzenden Teams als Zuschlagskriterium festzulegen. Dass das Team „erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung“ hat, wie im Gesetz verlangt, dürfte außer Frage stehen.

Als weiteres Zuschlagskriterium könnte man auch ein Umsetzungskonzept o.ä. einfordern, in welchem der Bewerber oder zu einem späteren Zeitpunkt im Vergabeverfahren der Bieter erläutert, wie er mit seinem Team und den vorhandenen Softwaretools, gemessen an den (funktionalen) Anforderungen des Auftraggebers und unter Berücksichtigung von Scrum, die Leistung zu erbringen gedenkt. Nach den Entscheidungen des EuGH vom 14.07.2016, Rs. C-6/15 – Dimarso und BGH vom 04.04.2017, X ZB 3/17 dürfte unbestritten sein, dass der öffentliche Auftraggeber nicht (mehr) verpflichtet ist, den potenziellen Bietern in den Vergabeunterlagen die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen, anhand derer er eine konkrete Bewertung der Angebote hinsichtlich der zuvor festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung vornimmt und eine Rangfolge für sie erstellt.

b. Angebotspreis

Bzgl. des Preises widerspricht es zunächst einem agilen Vorgehensmodell, dass sich der Auftraggeber für die Gesamtleistung einen Fixpreis anbieten lässt. Dies ist der Unterschied zum Wasserfallmodell, wobei in der Realität auch beim Wasserfallmodell der Auftraggeber häufig mehr zahlt, da die Leistungsbeschreibung im Projektverlauf ständig auf Geheiß des Auftraggebers geändert wird oder weil die Leistungsbeschreibung von Beginn an unvollständig war und damit zahlreiche change requests einhergegangen sind.

Bei der agilen Vorgehensweise zahlt der Auftraggeber für Story Points, wobei ein Story Point einem festen Betrag in EUR entspricht.

Beispiel: In einem Sprint Planning konkretisiert das Scrum Team die Anwendung (User Story) „Personalakte anlegen“, so werden z.B. sämtliche Formularfelder festgelegt, die erforderlichen Schnittstellen, Darstellungsformen, Dateiformate, etc. Es wird festgelegt, dass die Umsetzung der Funktionalität gemessen an Umfang und Komplexität 6 Story Points ausmacht. Angenommen, der Auftragnehmer hat einen Story Point für 1.300 EUR angeboten, entspricht der Preis für die Funktionalität 7.800 EUR.

Praxistipp: Es bietet sich im Vergabeverfahren zum Preisvergleich der Angebote an, bereits mehrere im Detail beschriebene User Stories als Referenzstories zu beschreiben. Die Bieter haben dann Story Points zu vergeben, die wiederum während des Vergabeverfahrens in einem Workshop besprochen und ggf. noch angepasst werden. Im Wettbewerb verglichen wird dann jeweils die Höhe der Story Points, die ein Bieter für sämtliche Referenzstories vergibt multipliziert mit dem angebotenen Einheitspreis je Story Point.

Die Story Points können bei unterschiedlichen Bietern durchaus unterschiedlich ausfallen, da jeder Bieter auch unterschiedliche Entwickler und Softwaretools einsetzt, so dass dem einen Bieter die Umsetzung leichter fallen kann als dem anderen. Auch die Geschwindigkeit (Velocity) kann differieren, so dass sich diese als weiteres Zuschlagskriterium anbietet.

Freilich bleibt auch hier in der Vertragsausübung die Ungewissheit, wie die weiteren User Stories im Hinblick auf Umfang (Story Points) und die dadurch entstehenden Kosten (Story Points x Einheitspreis) eingeordnet werden, so dass dem öffentlichen Auftraggeber zu empfehlen ist, mit einem sog. agilen Festpreis zu arbeiten, d.h. es wird eine Budgetobergrenze festgelegt, wodurch das Scrum Modell in seiner Urform durchbrochen wird.

Als weiteres Zuschlagskriterium beim Preis könnte nun neben dem Angebotspreis pro Story Point die Angabe eines Rabatts gefordert werden, den der Auftragnehmer bei Überschreitung der Budgetobergrenze auf alle bislang bezahlten und zukünftigen Leistungen bezahlt.

Weiterhin wird der Auftragnehmer in der Regel auch die Pflege der Software übernehmen, so dass sich als weiteres Preiskriterium die Angabe des monatlichen Pflegesatzes anbietet; auch eine Orientierung an den Story Points ist denkbar, so dass der Pflegesatz variabel ist.

Es gibt auch noch weitere denkbare Möglichkeiten, den Preis bei agilen Vorgehen im Vergabeverfahren als Zuschlagskriterium festzulegen, jedenfalls ist dies kein Gesichtspunkt, der dem öffentlichen Auftraggeber aus vergabe- oder haushaltsrechtlicher Sicht den Weg in eine agile Vorgehensweise versperrt. Im Gegenteil dürfte bei einem agilen Vorgehen, weil der Auftraggeber stets eingebunden ist, dem Steuerzahler am Ende mehr gedient sein als bei einem abgebrochenen oder durch zahlreiche Nachträge aufgepumpten Wasserfall-Projekt.

3. Verfahrensart und Bewerbungsbedingungen

Ein agiler Softwareentwicklungsvertrag kann sinnvollerweise nur im Verhandlungsverfahren ausgeschrieben werden, wobei gleich mehrere der hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 VgV vorliegen dürften. Ein Vorbehalt des Auftraggebers, auf das Erstangebot bereits den Auftrag zu vergeben, vgl. § 17 Abs. 11 VgV, dürfte in der Regel unzweckmäßig sein, da sich gerade bei der agilen Vorgehensweise ein Workshop wie oben beschrieben anbietet, um ein weiteres Preiskriterium festlegen zu können.

In den Bewerbungsbedingungen ist das phasenweise Vorgehen des Auftraggebers möglichst transparent zu beschreiben, wobei im Hinblick auf die Zuschlagskriterien die Unterkriterien und deren Gewichtung wiederum auch noch im Laufe des Verfahrens konkretisiert werden dürfen. Nur die Zuschlagskriterien selbst (auf oberer Ebene) sowie die Mindestanforderungen müssen unverändert bleiben. Auch hier existieren bislang kaum Blaupausen für öffentliche Auftraggeber, geschweige denn in Bezug auf Scrum.

4. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)

Da sich bei Scrum typischerweise Personal des Auftragnehmers regelmäßig beim Auftraggeber aufhält (Sprint Planning, daily oder weekly Scrum, Sprint Review), stellt sich automatisch die Frage der Arbeitnehmerüberlassung. Ob eine solche vorliegt bemisst sich an unterschiedlichen Kriterien und ist stets einzelfallabhängig. Der agile Softwareentwicklungsvertrag ist ein Werkvertrag, dies folgt bereits daraus, dass die einzelnen umzusetzenden User Stories jeweils der Teilabnahme unterfallen und der Auftragnehmer solange an der Umsetzung zu arbeiten hat, bis die festgelegten Abnahmekriterien erfüllt sind (vgl. LG Wiesbaden, Urt. v. 30.11.2016, 11 O 10/15). Dies spricht bereits deutlich gegen eine Arbeitnehmerüberlassung. Um das Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zu verringern, sollten neben den üblichen Aspekten der fehlenden Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers (kein eigenes Büro, keine eigene E-Mail, etc.) vor allem Weisungsbefugnisse des Auftraggebers möglichst auf das erforderliche Maß beschränkt werden. Der Scrum Master könnte während der Ausführung insofern auch darauf zu achten haben, dass solche Aspekte berücksichtigt und eingehalten werden.

III. Fazit

Der Weg, Softwareentwicklungen nach Scrum zu vergeben, steht auch öffentlichen Auftraggebern offen. Ob sich dies gegenüber dem Wasserfallmodell anbietet, ist im Einzelfall zu prüfen. Mangels vorhandener Vorlagen bei agilem Vorgehen ist die Zusammenstellung der Vergabeunterlagen sowie die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Angebote derzeit mit einigen Hürden versehen, die aber bei entsprechendem Engagement und Willen zu meistern sind.

1 Definition z.B. bei: https://de.wikipedia.org/wiki/Scrum oder: http://scrum-master.de/Was_ist_Scrum/Scrum_auf_einer_Seite_erklaert

The post Vergabe von agilen Softwareentwicklungsverträgen nach Scrum appeared first on Vergabeblog.


Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Die Prüfung der Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers/Bieters stellt Auftraggeber häufig vor größere Herausforderungen. Zunächst müssen sie sich genau überlegen, welche Nachweise und Erklärungen die Bewerber/Bieter vorzulegen haben, um sicherzugehen, dass der Auftrag ordnungsgemäß erfüllt wird. Aber welche Belege darf der Auftraggeber überhaupt verlangen, welche Spielregeln gibt das Vergaberecht vor? Was ist, wenn der Auftraggeber schlechte Erfahrung mit dem Bieter hatte? Darf er diese bei der Eignungsprüfung berücksichtigen? Und wann darf der Auftraggeber den Nachunternehmereinsatz verbieten? Muss er eine EEE überhaupt akzeptieren? Welche Unterschiede gibt es bzgl. der Festlegung der Eignung und der Prüfung im Unter- und Oberschwellenbereich und bei Bauvergaben. Fragen über Fragen. Unser langjähriger Autor, Herr Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, hat sich schon einmal mit dem Thema in einer Serie befasst (siehe hier und hier), allerdings zum alten Recht. Mit dem neuen Recht wurde natürlich alles „einfacher“, und daher hat sich der Umfang der Serie auch verdoppelt. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Einführung in die Thematik

Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind, vgl. § 122 Abs. 1 GWB und § 31 Abs. 1 UVgO. „Eignung“ ist damit gesetzlich definiert als Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Vormals gehörte auch die „Zuverlässigkeit“ zur Definition der Eignung. Die Zuverlässigkeit als eigenständigen Begriff kennt das GWB und die UVgO nicht mehr. Im Prinzip wird jedoch die Zuverlässigkeit eines Unternehmens durch die Abfrage zu den Ausschlussgründen gemäß § 123 und 124 GWB geprüft. Es handelt sich in der Praxis um Formulare, welche den Vergabeunterlagen beigefügt werden; die Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) enthält die Abfrage ebenfalls [siehe hierzu Vergabeblog.de vom 10/01/2016, Nr. 24560 und Vergabeblog.de vom 13/09/2017, Nr. 32875]. Bei der Eignung handelt es sich um ein subjektives Kriterium. Daraus folgt, dass der Auftraggeber eine Prognoseentscheidung treffen muss, ob das Unternehmen Gewähr dafür bietet, den Auftrag ordnungsgemäß ausführen zu können. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung. Da der Auftraggeber nicht in den Kopf des Unternehmens hineinschauen kann und er sich nicht allein auf sein Bauchgefühl verlassen sollte, ist diese Prognoseentscheidung auf Grundlage objektiver Informationen zu treffen. Dabei handelt es sich um Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise), die das Unternehmen vorlegt und die auf dessen Eignung schließen lassen sollen. Gemäß § 122 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen daher geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Prüfung der Eignung kann der Auftraggeber auch anderen überlassen, wenn ein Präqualifizierungssystem vorhanden ist; eine Präqualifizierung ersetzt dann die Vorlage von Eignungsnachweisen beim Auftraggeber (dazu später).

Festlegung von Eignungskriterien – was allgemein zu beachten ist

Bei der Festlegung der Eignungskriterien hat der öffentliche Auftraggeber bestimmte Regeln zu beachten. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung und die wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit betreffen (§ 122 Abs. 2 GWB; § 30 Abs. 2 S. 2 UVgO). In der UVgO steht zwar „können (…) betreffen“. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass Kriterien außerhalb dieser Bereiche festgelegt werden dürfen, lies daher „können nur betreffen“.

Anders als in §§ 44 bis 46 VgV enthält die UVgO keine Hinweise, welche Erklärungen und Nachweise zur Prüfung der Eignung in Betracht kommen. In den BMWi-Erläuterungen zur UVgO vom 05.01.2017 heißt es jedoch, dass die Bezugspunkte für die Eignungskriterien in der UVgO denen der §§ 44 bis 46 VgV entsprechen.

Praxistipp: Auftraggebern ist zu empfehlen, sich bei Verfahren nach der UVgO zur Festlegung der Eignungskriterien an den Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV zu orientieren und ausschließlich die dort zugelassenen Unterlagen abzufordern.

Eine Differenzierung ist aus folgendem Grund wichtig: Die Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV sind nur im Oberschwellenbereich verbindlich. Im Unterschwellenbereich bilden sie dagegen nur eine (wenn auch wichtige) Orientierung. Dies ist auch bei den folgenden Ausführungen zu bedenken.

Die Festlegung der Eignungskriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist in § 45 VgV geregelt und zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit in § 46 VgV. Unbedingt zu beachten ist, dass die Auflistung der Eignungskriterien in § 46 Abs. 3 VgV, anders als bei § 45 VgV, abschließend ist („ausschließlich (…) verlangen“). Dies ist, wenn auch reichlich versteckt, in den Vergaberichtlinien der EU angelegt und wurde von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in zwei Entscheidungen bekräftigt (Rechtssache C-213/07 – Michaniki und C-538/07 – Assitur).

Praxistipp: In der VOB/A-EU hat es der Gesetzgeber versäumt, auf die Ausschließlichkeit der Eignungskriterien zur Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hinzuweisen, statt dessen steht dort im § 6a EU Nr. 3 VOB/A „kann“, was auf ein (tatsächlich nicht vorhandenes) Ermessen hindeutet. Richtlinienkonform ist daher statt kann zu lesen: „kann (…) nur verlangen: (…).“

Allgemein bei der Festlegung von Eignungskriterien ist außerdem zu beachten, dass diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (§ 122 Abs. 4 Satz 1 GWB; § 33 Abs. 1 S. 2 UVgO). Weiterhin sind auch die in § 97 Abs. 1, 2 und 4 GWB verankerten Grundsätze Transparenz, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen, die normhierarchisch über der VgV und der VOB/A stehen. In der UVgO sind diese Grundsätze eigenständig durch § 2 UVgO eingebunden. Gemäß § 97 Abs. 4 GWB bzw. § 2 Abs. 4 UVgO sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge „vornehmlich“ zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung mittelständischer Interessen beschränkt sich dabei nicht nur auf die reine Losaufteilung, sondern ist z. B. – und gerade – auch bei der Festlegung der Eignungskriterien zu berücksichtigen.

Grundsatz der Eigenerklärung und Ausnahmen davon

Auftraggeber fordern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich die Vorlage von Eigenerklärungen an (§ 48 Abs. 2 VgV; § 35 Abs. 2 UVgO). Eigenerklärungen sind solche, die aus der Sphäre des Bieters stammen. Die Forderung von anderen Nachweisen (also von dritter Stelle = Fremd- bzw. Dritterklärungen) ist nur ausnahmsweise zulässig, etwa in sicherheitsrelevanten Bereichen. Beispiele für Dritterklärungen sind: Bankauskunft, Bescheinigung einer Versicherung, Bescheinigung des zuständigen Finanzamts, Bescheinigung einer Zertifizierungsstelle. Eine Eigenerklärung könnte etwa lauten: „Hiermit erkläre ich, dass unser Unternehmen nach ISO 9100 zertifiziert ist.“

Praxistipp: Bei Ausschreibungen nach VOB/A gilt der Grundsatz der Eigenerklärung nicht, dort liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob und inwieweit er Eigenerklärungen genügen lässt. Lässt der Auftraggeber Eigenerklärungen nach der VOB/A zu, so sind Eigenerklärungen, die als vorläufiger Nachweis dienen, von den Bietern, deren Angebote in die engere Wahl kommen, durch entsprechende Bescheinigungen der zuständigen Stellen zu bestätigen, § 6b EU Abs. 1 Nr. 2 S. 2 VOB. Eine solche Regelung fehlt in der VgV/UVgO. Gleichwohl dürfte sich der Auftraggeber auch bei VgV/UVgO-Verfahren häufig vorbehalten, noch vor Bezuschlagung Dritterklärungen einzufordern. Dies scheint mir vor dem Hintergrund des § 50 Abs. 2 S. 2 VgV auch zulässig.

Im Oberschwellenbereich hat der öffentliche Auftraggeber, wenn er Bescheinigungen und sonstige Nachweise anfordert, sich in der Regel an den im Online-Dokumentenarchiv e-Certis abgelegten Vorlagen zu bedienen. Die Regelung geht derzeit mangels Vorlagen ins Leere; im Unterschwellenbereich gilt sie ohnehin nicht.

Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE)

Die EEE besteht aus einem Formular, das der Vereinheitlichung der Formulare in der EU dienen soll und sämtliche Eignungskriterien und Ausschlussgründe umfasst. Folgende Rechtslage gilt derzeit: Weder im Oberschwellen- noch Unterschwellenbereich ist der Auftraggeber verpflichtet, die EEE zu verwenden. Im Oberschwellenbereich darf jedoch ein Unternehmen die EEE verwenden, um seine Eignung nachzuweisen und der Auftraggeber ist dann auch verpflichtet, die EEE zu akzeptieren und zu prüfen, § 48 Abs. 3 VgV. Im Unterschwellenbereich gilt im Anwendungsbereich der UVgO diese Akzeptanzpflicht dagegen nicht (so ausdrücklich in den Erläuterungen des BMWi).

Soll im Oberschwellenbereich auf das Angebot eines Bieters der Zuschlag erteilt werden, der eine EEE vorgelegt hatte, so ist der Auftraggeber verpflichtet, von diesem vor Zuschlagserteilung, die in der EEE geforderten Unterlagen zu fordern, § 50 Abs. 2 S. 2 VgV. Nach der UVgO gilt diese Pflicht dagegen nicht, d.h. der Auftraggeber kann den Zuschlag auch ohne weitere Prüfung erteilen, er kann aber auch nachprüfen. Die VOB/A, 1. Abschnitt lässt die EEE hingegen völlig unerwähnt, so dass die o.g. Grundsätze zur UVgO entsprechend herangezogen werden können.

Sollte eine vom Auftraggeber im Rahmen der EEE zu überprüfende Unterlage in einer kostenfreien Datenbank ohne großen Aufwand abrufbar sein, so kann der Bieter darauf verweisen und muss die Unterlage nicht gesondert einreichen. In der Regel wird dies ein anerkanntes Präqualifizierungssystem (pq-Stelle) sein.

Eine Beibringungspflicht besteht auch dann nicht, wenn die besagte Unterlage beim Auftraggeber bereits vorliegt, zum Beispiel aus einer alten oder einer Parallelausschreibung. Ein Verweis auf eine solche Unterlage ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter eine EEE eingereicht hat. Um dieser Hürde zu entgehen empfiehlt Summa (in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 50 VgV, Rn. 46) folgenden Satz in die Bekanntmachung aufzunehmen:

„Unternehmen, die sich in den vergangenen zwölf Monaten mit einem Angebot oder einem Teilnahmeantrag an einer unserer Ausschreibungen beteiligt und Unterlagen i.S.d. § 48 Abs. 1 VgV eingereicht hatten, von denen sie jetzt annehmen, diese seien immer noch zutreffend und gültig, können (sie?) anstelle einer erneuten Vorlage auf diese Unterlagen, die genau zu bezeichnen sind, verweisen.“

Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit

Die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Auftragnehmer in eine nicht nur unerhebliche Vorleistung gehen muss. Dies dürfte bei Bauleistungen regelmäßig der Fall sein; oder wenn sich aus dem Auftragsgegenstand für den Auftragnehmer ein nicht nur geringes Haftungsrisiko realisieren könnte. Der Gesetzgeber macht im Oberschwellenbereich Vorschläge, welche Belege zur Prüfung eingefordert werden könnten:

  • Bankerklärungen,
  • Nachweis einer Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung,
  • Jahresabschlüsse (Bilanzen), allerdings muss der Bieter bilanzierungspflichtig sein und der Auftraggeber Bilanzen lesen können (der Jahresabschluss 2016 der Telekom umfasst 99 Seiten),
  • eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags;

Es gibt allerdings einige Regeln zu beachten:

Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen gilt der Grundsatz der Eigenerklärung, d.h. eine Bankerklärung oder der Nachweis durch eine Versicherung darf nur ausnahmsweise gefordert werden, grundsätzlich muss beispielsweise also eine Erklärung des Bieters, dass und in welcher Höhe er versichert ist genügen. Auch hier ist natürlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Mindestversicherungsdeckungssummen, die in keinem Verhältnis zum Auftrag und Risiko stehen, sind unzulässig.

Es darf durchaus ein Mindestgesamtumsatz und ein Mindestumsatz im ausgeschriebenen Tätigkeitsbereich als Eignungshürde vorgegeben werden. Allerdings darf ein solch festgelegter Mindestjahresumsatz das Zweifache des geschätzten Auftragswerts grundsätzlich nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen.

Beispiel: Der Auftraggeber schreibt die Wartung und Instandhaltung seiner Heizungsanlagen für einen Zeitraum von vier Jahren aus. Er schätzt den Auftragswert über die gesamte Laufzeit gemäß § 3 VgV auf 340.000 EUR. Als Mindestjahresumsatz dürfte er nun nicht mehr als 680.000 EUR festlegen.

Ungeklärt ist noch, ob diese Regel auch bei der Auswahl der Bewerber aufgrund objektiver und nichtdiskriminierender Eignungskriterien beim Teilnahmewettbewerb gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 VgV bzw. für Bauaufträge § 3b EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A gilt.

Beispiel: Der Auftraggeber legt im o.g. Fall als ein solches Auswahlkriterium fest, dass die Bewerber mindestens einen Jahresumsatz in Höhe von 680.000 EUR belegen müssen und dass Bewerber, die einen höheren Umsatz belegen können, entsprechend mehr Punkte für die Auswahl für die nächste Stufe (nämlich den Bieterwettbewerb) erhalten.

Eine solche Vorgabe dürfte den Sinn und Zweck der Begrenzung auf das Doppelte des Mindestumsatzes unterlaufen und insofern unzulässig sein. Zur Wahrung mittelständischer Interessen und Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden Diskriminierung dürfte ebenfalls erforderlich sein, die zu erzielende Maximalpunktzahl angemessen zu deckeln.

Bezüglich der Abfrage des Umsatzes stellt sich auch die Frage, welchen Zeitraum dieser umfassen darf. Im Gesetz heißt es dazu ausdrücklich, dass „eine solche Erklärung höchstens für die letzten drei Geschäftsjahre verlangt werden kann und nur, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.“ Für den Auftraggeber bedeutet dies zweierlei: Zum einen darf er Umsatzzahlen höchstens für die letzten drei Jahre verlangen. Er muss aber auch die Vorlage eines geringeren oder keines (!) Zeitraums zunächst akzeptieren, d.h. allein die Nichtvorlage darf nicht formal zum Ausschluss führen, wenn bei dem Unternehmen solche Zahlen schlicht (noch nicht) vorliegen, wobei eine Äußerung des Unternehmens hierzu zu fordern ist. Diese Regelung ist ein klares Bekenntnis für Newcomer, die sonst im Vergaberecht nicht besonders geschützt werden. Ein solcher Newcomer muss freilich dann ggf. anderweitig belegen, dass er finanziell geeignet ist und der Auftraggeber muss die Geeignetheit des Belegs entsprechend prüfen. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf alle anderen vom Auftraggeber verlangten Nachweise, so heißt es in der VgV im § 45 Abs. 5: „Kann ein Bewerber oder Bieter aus einem berechtigten Grund die geforderten Unterlagen nicht beibringen, so kann er seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Vorlage anderer, vom öffentlichen Auftraggeber als geeignet angesehener Unterlagen belegen.“ Etwas unschärfer heißt es in der VOB-EU: „Der öffentliche Auftraggeber wird andere ihm geeignet erscheinende Nachweise der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zulassen, wenn er feststellt, dass stichhaltige Gründe dafür bestehen.“

Summa (in: jurisPK, a.a.O, § 45, Rn. 58) sieht die praktische Bedeutung als gering an, da „die üblicherweise geforderten Nachweise für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nur selten ein in- oder ausländisches Unternehmen objektiv überfordern dürften.

Ich denke, die praktische Bedeutung ist höher einzuschätzen. An einem Beispiel möchte ich dies kurz aufzeigen: Angenommen, ein DAX-notiertes Unternehmen entscheidet sich dazu, eine Tochtergesellschaft zu gründen, um den Bereich Elektromobilität auszugliedern und auszubauen. Diese Tochtergesellschaft reicht nun in einem Vergabeverfahren anstatt der verlangten Mindestumsätze (die sie nicht hat) unter Berufung auf § 45 Abs. 5 VgV eine Erklärung der Muttergesellschaft ein, dass sich diese für alle finanziellen Verpflichtungen der Tochtergesellschaft stark macht, eine sog. Patronatserklärung. Der Auftraggeber entscheidet nun, ob ihm dies ausreicht. Reicht es aus, bedürfte es auch nicht des Kunstgriffs einer Eignungsleihe, bei dem sich die Tochtergesellschaft die Umsätze der Muttergesellschaft im Wege der Eignungsleihe leiht.

Praxistipp: Die oben beschriebenen Regeln gelten nur für den Oberschwellenbereich, für den Unterschwellenbereich hat man auf eine entsprechende Anwendung verzichtet. Dort haben die Auftraggeber somit mehr Flexibilität, allerdings auf Kosten der Rechtssicherheit. Soweit der Auftraggeber die Regeln auch im Unterschwellenbereich anwendet, dürfte dies die Rechtssicherheit des Verfahrens erhöhen.

Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit

Der Auftraggeber hat ein Interesse daran, dass nur Unternehmen den Auftrag erfüllen, die auch über die personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen in Bezug auf den Auftragsgegenstand verfügen. Der Oberschwellenbereich bietet eine abschließende (siehe oben) Auflistung der Belege, die der Auftraggeber zur Prüfung der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit verlangen kann. An dieser Stelle werden einige der in der Praxis gängigsten Belege (im Überblick!) aufgezeigt:

  • Referenzen über früher ausgeführte Aufträge in Form einer Liste der Referenzprojekte, zu denen Angaben über die erbrachten wesentlichen Leistungen, den Auftragswert, den Auftragszeitraum sowie den Kunden gemacht werden.
  • Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen, unabhängig davon, ob diese dem Unternehmen angehören.
  • Beschreibung der technischen Ausrüstung (im Allgemeinen),
  • Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt,
  • Beschreibung der Qualitätssicherungsmaßnahmen,
  • Studien- und Ausbildungsnachweise der Führungskräfte des Unternehmens, sofern diese Nachweise nicht als Zuschlagskriterium bewertet werden,
  • Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen, die das Unternehmen während der Auftragsausführung anwendet,
  • Erklärung, aus der die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl des Unternehmens und die Zahl seiner Führungskräfte in den letzten drei Jahren ersichtlich ist,
  • Angabe, welche Teile des Auftrags das Unternehmen unter Umständen als Unteraufträge zu vergeben beabsichtigt.

Hinsichtlich der Referenzprojekte ist zu beachten, dass diese grundsätzlich in den letzten max. drei (bei VOB/A-EU fünf) Jahren erbracht worden sein müssen, die Erfahrung soll nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst frisch sein. Ein längerer Zeitraum ist zu begründen, etwa, da die Leistungen besonders komplex und entsprechend selten beschafft werden. Schwierig ist die Frage, wann eine Leistung als „erbracht“ gilt. Dies ist eine Frage der Wertung, die in Teil 2 dieser Serie behandelt wird. Es sind „geeignete“ Referenzen zu fordern. Was mit dieser „Eignung“ gemeint ist, ist unklar. Man wird wohl sagen müssen, dass eine Referenz geeignet ist, wenn diese den Schluss zulässt, dass das Unternehmen den ausgeschriebenen Auftrag (erneut) ordnungsgemäß durchführen können wird. Das Unternehmen muss daher überlegen, welche Referenzen es beifügt, um dies zu belegen. Eine Beschränkung der Zahl solcher Referenzen ist unzulässig. Der Auftraggeber muss die Eignung der Referenz dann gegenprüfen, auch dies ist eine Frage der Wertung. Freilich kann (muss aber nicht) der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen näher konkretisieren, welche Maßstäbe er an die Eignung anlegt, z.B. dass ein Referenzprojekt geeignet ist, „wenn die damit verbundenen Leistungen vergleichbare oder sehr ähnliche Tätigkeiten, organisatorischen Abläufe und/oder Instrumente beinhalteten“.

Möchte ein Auftraggeber die Qualifikation und Erfahrung des Personals prüfen, das für die Leistungsdurchführung eingesetzt werden soll (z.B. des Ingenieurs oder des Softwareentwicklers), so sucht er vergebens nach einem passenden Beleg; es sei daran erinnert, dass die Auflistung im Gesetz abschließend ist. Am nächsten kommt noch die „Angabe der technischen Fachkräfte, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen.“ Allerdings wird eine bloße Angabe dem Auftraggeber nicht reichen, sondern er wird Studien- und Ausbildungsnachweise sowie Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung haben wollen. Diese wiederum sind ausdrücklich jedoch nur von den Führungskräften des Unternehmens einforderbar, die aber in aller Regel selbst nicht den Auftrag ausführen werden. Die richtige Antwort ist wohl, dass auf der Ebene der Eignung abgefragt werden kann, ob das Unternehmen überhaupt über entsprechendes Personal verfügt, das dann für die Leistung eingesetzt werden könnte. Die Eignung bezieht sich auf das Unternehmen selbst und gerade nicht auf die angebotene oder zu erbringende Leistung. Erst bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit des Angebots wird diese Perspektive konkretisiert und das tatsächlich für die konkrete Leistungserbringung angebotene Personal geprüft, wozu entsprechende Belege (Lebenslauf u.ä.) vom Bieter vorzulegen sind, sofern der Auftraggeber diesen qualitativen Aspekt des Angebots bewerten möchte. Zulässig ist dies aber auch nur, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung hat.

Praxistipp: Unternehmen sollten sich bereits im Teilnahmewettbewerb mit den Unterlagen des Bieterwettbewerbs vertraut machen. Insb. sollten eventuelle Vorgaben an das einzusetzende Personal und die damit verbundenen Einsatzzeiten untersucht werden. Denn wenn das Unternehmen an diesem Punkt scheitern wird, bedarf es auch keines unnötigen Aufwands zur Beteiligung an einem Teilnahmewettbewerb.

§ 46 Abs. 2 VgV enthält noch eine Regelung, die deplatziert im Eignungskanon wirkt, dort heißt es: „Der öffentliche Auftraggeber kann die berufliche Leistungsfähigkeit eines Bewerbers oder Bieters verneinen, wenn er festgestellt hat, dass dieser Interessen hat, die mit der Ausführung des öffentlichen Auftrags im Widerspruch stehen und sie nachteilig beeinflussen könnten.“ Es handelt sich hier um den Fall eines möglichen Interessenkonflikts, wie er auch bei sog. vorbefassten Unternehmen („Projektanten“) bestehen kann. Da hier die berufliche Leistungsfähigkeit angesprochen wird, könnte es sich um einen Konflikt handeln, bei dem das Unternehmen im Fall einer Beteiligung in zwei unterschiedlichen Lagern stünde. Wird etwa ein Beratungsunternehmen gesucht, das für den Bund Steuerschlupflöcher ausfindig machen soll, so könnten berufliche Interessen der Eignung entgegenstehen, wenn sich das Unternehmen darauf spezialisiert hat, für andere Kunden entsprechende Steuersparmodelle zu entwickeln. Oder möchte das für Verbraucherschutz zuständige Ministerium einen Auftrag an ein Unternehmen vergeben, das prüfen soll, ob ein großer Anbieter von Suchmaschinen seine beherrschende Stellung ausnutzt, so könnte ein Unternehmen ungeeignet sein, wenn es für eben diesen Anbieter entsprechende technische Tools entwickelt. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Rahmen des Ermessens („kann“) zu beachten ist, nicht jeder scheinbare Interessenkonflikt ist tatsächlich einer.

Eignungsleihe

Die Eignungsleihe ist in § 47 VgV und in § 34 UVgO geregelt. Die Eignungsleihe ist zu komplex, um sie hier in allen Facetten darstellen zu können; es bedürfte eines eigenen Blogbeitrags. Das Wichtigste ist aber wohl, dass es der Gesetzgeber den Unternehmen erlaubt, ihre Eignung dadurch zu belegen, indem sie sich die Eignung bei einem anderen Unternehmen besorgen, „leihen“. Der Auftraggeber wiederum darf diese Möglichkeit nur ausnahmsweise einschränken, nämlich wenn die zu erfüllende Aufgabe so kritisch ist, dass der unmittelbare Vertragspartner diese selbst durchführen können muss und auch selbst durchführen soll. Das Eigenleistungsgebot ist vergaberechtlich die Ausnahme.

Beispiel für eine Eignungsleihe: Der Auftraggeber schreibt eine komplexe Softwareprogrammierung aus und verlangt geeignete Referenzen unter anderem auch für den Bereich SQL. Ein an der Ausschreibung interessiertes Unternehmen kann die meisten Referenzen bedienen; nur bei SQL fehlt die Erfahrung im Hause. Es holt sich daher ein mit entsprechender Erfahrung ausgestattetes Unternehmen ins Boot (z.B. als Nachunternehmer) und reicht dem Auftraggeber dessen entsprechende Referenzen ein.

Gerade bei der Konstellation der Eignungsleihe im Wege der Nachunternehmerschaft kann der Auftraggeber von dem Nachunternehmer nun auch verlangen, dass dieser nachweist, dass er mit seinen Ressourcen dann auch tatsächlich für die Leistung zur Verfügung steht und nicht bloß „vorgeschoben“ ist. Hierzu reicht der Nachunternehmer eine sog. Verpflichtungserklärung oder auch Nachunternehmererklärung ein, es handelt sich um ein Formblatt, das jeder Auftraggeber im Köcher haben sollte.

Nimmt ein Bewerber oder Bieter die Kapazitäten eines anderen Unternehmens im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Haftung des Bewerbers oder Bieters und des anderen Unternehmens für die Auftragsausführung entsprechend dem Umfang der Eignungsleihe verlangen. Eine solche gemeinsame Haftungserklärung bietet sich in der Regel bei größeren Bauprojekten an oder bei risikoaffinen Leistungen.

Eignungskriterien gehören in die Bekanntmachung

Traditioneller Weise verwendet das deutsche Vergaberecht den Begriff der „Fachkunde“. Im EU-Jargon ist damit die berufliche Leistungsfähigkeit gemeint. Bei Vergabeverfahren, bei denen eine Bekanntmachung vorgesehen ist, sind die zur Überprüfung der Eignung abgefragten Unterlagen zwingend in der Bekanntmachung festzulegen. Grund hierfür ist, dass interessierte Unternehmen mit einem Blick erkennen können sollen, ob der Auftrag in ihr Portfolio fallen könnte und sie sich um eine weitere Bewerbung bemühen sollten. In der EU-Bekanntmachung sind die Eignungskriterien unter Ziffer III zu benennen. Eine Benennung nur in den Vergabeunterlagen reicht daher nicht aus, ebenso wenig ein Verweis in der Bekanntmachung („siehe Vergabeunterlagen“).

Zulässig sein dürfte jedoch, wenn ein Verweis (Link) genau an die entsprechende Stelle in den Vergabeunterlagen führt, so dass ein manuelles Durchsuchen derselben für die Bieter/Bewerber nicht erforderlich ist. Eine Konkretisierung der Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen ist indes möglich, wobei der Auftraggeber sich dann häufig in das gefährliche Fahrwasser der Abgrenzung begibt: Wo hört die Konkretisierung auf und wo beginnt ein neues Kriterium? Keinesfalls darf eine strengere Vorgabe erst aus den Vergabeunterlagen folgen. Unterlässt der Auftraggeber die Benennung in der Bekanntmachung, besteht die Gefahr, dass er den erwünschten Nachweis dann nicht mehr zulässigerweise nachfordern darf.

The post Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren appeared first on Vergabeblog.

Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren (Teil 2)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

In Teil 1 dieser Serie können Sie ausführlich nachlesen, was der Auftraggeber alles bei der Festlegung der Eignungskriterien zu beachten hat. Dieser Teil 2 befasst sich nun mit der Prüfung der Unterlagen, die auf Grundlage der zuvor festgelegten Eignungskriterien von den Unternehmen eingereicht wurden und der Auswahl der Unternehmen. Teil 3 wird sich dann den Ausschlussgründen der §§ 123 und 124 GWB und der Selbstreinigung nach § 125 GWB widmen. In Teil 4 wird sodann die Eignung von am Vergabeverfahren beteiligten Dritten, wie etwa Unterauftragnehmern und Eignungsverleihern, beleuchtet.

Prüfung der Eignung

Im Gesetz heißt es, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Unternehmen anhand der festgelegten Eignungskriterien überprüft und gegebenenfalls Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließt (siehe etwa § 42 VgV und § 31 Abs. 1 UVgO). Soweit die Unternehmen den Nachweis der Eignung durch die Teilnahme an einem Präqualifizierungssystem erbringen können, genügen für die Feststellung der Eignung, die Angaben zur Präqualifizierung. Sonst prüft der Auftraggeber die von den Unternehmen eingereichten Erklärungen und Unterlagen, ob dadurch nachgewiesen werden kann, dass die festgelegten Eignungskriterien erfüllt werden. Die Nachweisführung kann auch durch eine EEE erfolgen (siehe dazu Teil 1). Die von den Unternehmen vorgelegten Unterlagen werden den vom Auftraggeber festgelegten Eignungskriterien gegenübergestellt.

Praxistipp: Der öffentliche Auftraggeber erleichtert sich die Prüfung und den Unternehmen die Nachweisführung der Eignung, wenn er die Vergabeunterlagen so vorbereitet, dass diese die Unternehmen beim Ausfüllen „führen“ und der sofortige Abgleich mit den festgelegten Eignungskriterien ermöglicht wird. Häufig wird dazu ein durch die Unternehmen auszufüllender „Unternehmerbogen“ o.ä. vom Auftraggeber erstellt, anstatt einer Vielzahl an einzelnen Unterlagen gefordert.

Den Rahmen der Eignungsprüfung hat der Auftraggeber durch die Festlegung der Eignungskriterien im Vorhinein abgesteckt, siehe § 48 Abs. 1 VgV. Er darf nach Öffnung der Teilnahmeanträge bzw. Angebote diesen Rahmen auch nicht mehr nachträglich ändern oder verschärfen.

Zertifizierungen

Häufig verlangen Auftraggeber Unterlagen zum Beleg von Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Eine entsprechende Festlegung ist auch zulässig, siehe etwa § 46 Abs. 3 Nr. 3 VgV. In Zusammenschau mit § 49 Abs. 1 VgV ergibt sich, dass der Auftraggeber sich auch Bescheinigungen unabhängiger Stellen, d.h. eine Zertifizierung, vorlegen lassen kann, wenn ein sachlicher Grund für das Absehen von einer Eigenerklärung (nicht bei VOB/A erforderlich!) vorliegt und die Festlegung angemessen ist. Beispiel: Beleg durch Vorlage eines Zertifikats nach ISO 27001. Im Oberschwellenbereich darf dadurch jedoch kein Unternehmen außerhalb von Deutschland diskriminiert werden. Die Bescheinigung muss sich daher auf ein Qualitätssicherungssystem beziehen, das – vereinfacht gesagt – EU-weit harmonisiert ist. Fehlt es an einer solchen Harmonisierung, so „muss der öffentliche Auftraggeber auch andere Unterlagen über gleichwertige Qualitätssicherungssysteme anerkennen, sofern der Bewerber oder Bieter nachweist, dass die vorgeschlagenen Qualitätssicherungsmaßnahmen den geforderten Qualitätssicherungsnormen entsprechen.“ (§ 49 Abs. 1 Satz 2 VgV). Eine „Zertifizierung nach ISO 27001 auf der Basis von IT-Grundschutz“ wird nur vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie oder von einem von diesem zertifizierten Dienstleistern erteilt. „Cyber-Security“ ist (noch) nicht EU-weit harmonisiert. Daher muss der Auftraggeber auch einen gleichwertigen Beleg zulassen. Ähnliche Erwägungen sind bei der Forderung von DIN-Normen anzustellen, die nicht gleichzeitig auch in der EU harmonisiert sind. Folgendes Beispiel dazu aus „Verwendung von DIN-Normen bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Ein DIN Praxisleitfaden, Christoph Busch, Oliver Dörr, Hans Schulte-Nölke“: „Die bloße Anforderung „Zertifizierung DIN 77200“ in einer Ausschreibung von Wach- und Sicherungsdienstleistungen ist vergaberechtswidrig. Zulässig ist dagegen die Anforderung „Zertifizierung DIN 77200 oder gleichwertig“.

Im Oberschwellenbereich finden sich ebenfalls ähnliche Sondervorschriften für den Beleg der Einhaltung von Umweltmanagementmaßnahmen, vgl. § 49 Abs. 2 VgV.

Aufklärung und Nachforderung von Erklärungen und Nachweisen

Sollte der Auftraggeber Rückfragen an die Unternehmen zu den eingereichten Unterlagen haben, kann er diese auffordern, diese zu erläutern, § 48 Abs. 7 VgV. Unterlage ist dabei der Oberbegriff für Nachweise und Erklärungen. Bei einer solchen Aufklärung sind die Grundsätze der Dokumentation zu beachten. Eine mündliche Erläuterung wird hier in der Regel auszuschließen sein, da diese die Teilnahmeanträge oder die Angebote betrifft, vgl. § 7 Abs. 2 UVgO.

Fehlen hingegen Unterlagen oder sind diese nicht vollständig ausgefüllt, so kann der Auftraggeber diese nachfordern. Wortlautidentisch heißt es in § 41 Abs. 2 UVgO und § 56 Abs. 2 VgV:

„Der öffentliche Auftraggeber kann den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen. Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festzulegen, dass er keine Unterlagen nachfordern wird.“

Eine Nachforderung von „leistungsbezogenen Unterlagen“ ist nach § 41 Abs. 3 UVgO und § 56 Abs. 3 VgV allerdings unzulässig, wenn – wie eigentlich nahezu immer – diese die Wirtschaftlichkeitsbewertung betreffen. Für Unterlagen, die die Eignung betreffen, folgt daraus im Umkehrschluss, dass solche stets nachgefordert werden können.

Voraussetzungen für ein Nachfordern ist zunächst, dass es sich um eine „unternehmensbezogene Unterlage“ handelt. Aus dem Zusatz „insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise“ folgt ein sehr weiter Anwendungsbereich. Dem Begriff der Unterlage unterfallen damit sämtliche Nachweise und Erklärungen, die zum Beleg der Eignung eingereicht werden. Eine Ausnahme dazu ist nicht erkennbar. Diese Unterlage muss „fehlen“ oder „unvollständig“ sein. Eine Unterlage fehlt, wenn sie vollständig nicht eingereicht wurde. Dem Fehlen gleich zu stellen ist eine zwar eingereichte Unterlage, bei der aber die geforderte Unterschrift fehlt. Reicht beispielsweise ein Bewerber eine geforderte Verpflichtungserklärung eines Nachunternehmers ein, diese ist aber nicht vom Nachunternehmer unterschrieben, so „fehlt“ die Verpflichtungserklärung und kann nachgefordert werden.

Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist auch eine „Vervollständigung“ und „Korrektur“ der Unterlagen zulässig. Umstritten ist, ob damit nur formelle Inhalte gemeint sind (so die wohl herrschende Meinung, siehe hierzu Wagner in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 56 VgV, m.w.N.) oder auch eine inhaltliche Nachbesserung möglich ist. Bei der Eignung geht es um den Beleg vorhandener Tatsachen. Besteht eine eignungsrelevante Tatsache, wird jedoch vom Bewerber / Bieter vergessen, diese vollständig mitzuteilen oder aber wird diese (versehentlich) unrichtig mitgeteilt, dann muss eine Korrektur möglich sein. Teilt etwa ein Bewerber wie verlangt seine Gesamtumsatzzahlen der letzten drei Jahre mit, vergisst aber die Zahlen in Bezug auf den Ausschreibungsgegenstand mitzuteilen, dann muss eine Nachreichung möglich sein, auch wenn dies letztlich eine „inhaltliche Nachbesserung“ darstellt. Denn hätte der Bewerber gar keine Umsatzzahlen eingereicht, dann wäre eine Nachforderung auch nach der strengen Auffassung möglich, andernfalls würde die Korrekturvariante der Nachforderungsmöglichkeit auch völlig ins Leere laufen.

Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, ist aus meiner Sicht ein weiter Anwendungsmaßstab zu ziehen. Andernfalls führte dies auch wieder zur Rechtslage nach VOL/A, von der der Gesetzgeber gerade abrücken wollte. Mögliche Unverträglichkeiten mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz sind im Rahmen des Ermessens zu prüfen, d.h. auf der Rechtsfolgenseite.

Auf der Rechtsfolgenseite ist eine Nachforderung in das Ermessen des Auftraggebers gestellt („kann“). Hier ist § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechend heranzuziehen, der lautet: „Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“

Es hat folglich eine Entscheidung nach „pflichtgemäßen Ermessen“ zu erfolgen. Um zu prüfen, ob dabei ein Ermessensfehler unterlaufen ist, ist zunächst zu fragen, was überhaupt der Zweck der Nachforderungsmöglichkeit ist. Die Gesetzesmaterialen schweigen zu dieser Frage. Meines Erachtens dürften zwei Zwecke enthalten sein, die in einem Spannungsverhältnis miteinander stehen: Zum einen der Wettbewerbsgrundsatz: Die Nachforderungsmöglichkeit hilft dabei, dass mehrere Angebote im Wettbewerb verbleiben und erhöht somit die Chance auf ein möglichst wirtschaftliches Angebot. Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Nachforderung nicht als verpflichtend ansieht und sogar deren Verzicht zulässt, offenbart als weiteren Zweck, dass der öffentliche Auftraggeber von der Prüfung entlastet und das Vergabeverfahren somit erleichtert werden soll. Dies setzt jedoch eine pflichtgemäße, d.h. ermessenfehlerfeie Entscheidung des Auftraggebers voraus. Nach der Ermessensfehlerlehre liegt ein Ermessensfehler bei Ermessensausfall, Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch vor.

Ein Ermessensausfall wäre beispielsweise zu bejahen, wenn der Auftraggeber nicht erkannt hat, dass er ein Ermessen besitzt und dieses somit nicht ausübt. Meines Erachtens sollte sich daher in der Vergabedokumentation die Überlegung des Auftraggebers zur Nachforderung wiederfinden, sobald eine Unterlage fehlt, die nachgefordert werden könnte.

Häufiger dürfte sich die Frage des Ermessensfehlgebrauchs stellen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Auftraggeber zweck- oder sachfremde Erwägung anstellt. Bsp.: Der öffentliche Auftraggeber fordert nicht nach, da er mit einer Person im Unternehmen in einem anderen Projekt schlechte Erfahrung gemacht hatte.

Ein Ermessensfehler liegt aber auch vor, wenn der Auftraggeber im Rahmen der Ermessensausübung die geschützten Belange (wie etwa den Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz) erkannt, diese aber in einem fehlerhaften Rangverhältnis zueinander gesetzt hat. Beispiel: Kein Ermessensfehler ist es, wenn der Auftraggeber bei nur zwei Angeboten, bei einem Angebot eine Erklärung deshalb nicht nachfordert, da er bereits jetzt sieht, dass das Angebot wegen des hohen Preises keine Chance auf den Zuschlag hätte. Eine Nachforderung würde daher unnötige Arbeit (auf beiden Seiten!) im Vergabeverfahren bedeuten. Wenn das Angebot allerdings eine echte Zuschlagschance hätte, dann schlüge das Pendel in Richtung Wettbewerb und es wäre ermessensfehlerhaft, nicht nachzufordern.

Ein Ermessensfehler läge auch vor, wenn durch die Handlung des Auftraggebers der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt würde. Es ist in der Regel zulässig, wenn der Auftraggeber die Nachforderung auf diejenigen Bewerber oder Bieter beschränkt, deren Teilnahmeanträge oder Angebote in die engere Wahl kommen. Er ist indes nicht verpflichtet, von allen Bietern oder Bewerbern gleichermaßen Unterlagen nachzufordern (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung). Wird ein Bewerber bzw. Bieter wegen einer fehlenden Unterlage ausgeschlossen, so kann er versuchen gegenüber dem Auftraggeber einen vergaberechtswidrigen Angebotsausschluss zu rügen. Die Rüge ist darauf zu stützen, dass der Auftraggeber einen Ermessensfehler begangen hat. Im Fall der Nichtabhilfe durch den Auftraggeber könnte im Oberschwellenbereich auf einen Nachprüfungsantrag die Vergabekammer um Prüfung der Entscheidung des Auftraggebers angerufen werden. Die Vergabekammer wird daraufhin prüfen, ob die Entscheidung des Auftraggebers ermessensfehlerhaft erfolgte. Ob die Entscheidung zweckmäßig war, prüft die Vergabekammer indes nicht.

Praxishinweis: Öffentliche Auftraggeber sollten aufgrund der nicht leichten rechtlichen Handhabung der § 41 Abs. 2 UVgO und § 56 Abs. 2 VgV stets von ihrem Nachforderungsrecht Gebrauch machen, es sei denn, dass ein Angebot offensichtlich keine Zuschlagschance hätte. Die Ermessensausübung ist zu dokumentieren.

2-Bauvergabetag-2018-Anmeldung

Anders als noch nach alter Gesetzeslage ist es nun möglich, dass der Auftraggeber von vornherein festlegt, dass er keine Unterlagen nachfordern werde. Haushaltsrechtlich und wettbewerblich erscheint diese Möglichkeit bedenklich; aber da sie vom Gesetz ausdrücklich erlaubt ist und zur freien Wahl des Auftraggebers steht („ist berechtigt“), darf deren Ausübung rechtlich nicht beanstandet werden, selbst wenn dies dazu führt, dass nur noch ein Angebot im Wettbewerb verbleibt. Da derzeit Unternehmen aber ohnehin eher verhalten sind, was ihre Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen anbelangt, machen öffentliche Auftraggeber von der Möglichkeit kaum Gebrauch. Es bietet sich an, intern in Verwaltungsvorschriften festzulegen, dass von der Möglichkeit nur in bestimmten Fällen Gebrauch gemacht werden darf, etwa bei Standardbeschaffungen im Massengeschäft.

Praxishinweis: Öffentlichen Auftraggebern ist davon abzuraten, in den Vergabeunterlagen von vorneherein festzulegen, dass Bewerber/Bieter vergessene Unterlegen und Erklärungen nicht nachreichen dürfen.

Frist zur Nachforderung

Nach § 56 Abs. 4 VgV bzw. § 41 Abs. 4 UVgO sind die Unterlagen vom Bewerber oder Bieter nach Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber innerhalb einer von diesem festzulegenden angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vorzulegen. Die Angemessenheit richtet sich nach der Art der nachzufordernden Unterlage. Handelt es sich um eine Unterlage, die normalerweise „in der Schublade“ liegen sollte, so kann eine Frist von nur zwei Arbeitstagen ausreichend sein. Mit Blick auf die §§ 16a, 16a EU VOB/A ist eine Frist von 6 Kalendertagen stets angemessen. Innerhalb „einer“ Frist ist als bestimmter Artikel zu lesen, d.h., dass eine Nachforderung nur einmal möglich ist. Gelingt es dem Bewerber nicht innerhalb der festgelegten Frist die Unterlage nachzureichen, so ist er auszuschließen, siehe auch § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Freilich kann der Auftraggeber die Frist vor ihrem Ablauf auch noch angemessen verlängern. Eine Verlängerung, die insgesamt einen Zeitraum von einer Woche überschreitet, dürfte selbst jedoch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Eine zu kurze Frist kann durch den Bieter gerügt werden. Ein Ausschluss wäre zudem vergaberechtswidrig, wenn dieser nach einer unangemessen kurzen Frist erfolgte.

Form der Nachreichung

Das Gesetz enthält keine Hinweise zur Form der Nachreichung. Es gilt daher die allgemeine Vorschrift des § 7 UVgO bzw. § 9 VgV. Nach deren Absatz 2 kann die Kommunikation in einem Vergabeverfahren mündlich erfolgen, wenn sie nicht die Vergabeunterlagen, die Teilnahmeanträge, die Interessensbestätigungen oder die Angebote betrifft und wenn sie ausreichend und in geeigneter Weise dokumentiert wird. Eine Nachforderung wird in aller Regel die Teilnahmeanträge oder Angebote betreffen, so dass eine mündliche Nachbesserung nicht möglich ist. Es gilt dann Absatz 1, d.h. die Kommunikation muss über elektronische Mittel erfolgen, deren Anforderungen sich wiederum aus §§ 11 und 12 VgV ergeben. Im Unterschwellenbereich können hier freilich (noch) Ausnahmen vorgesehen werden, siehe etwa § 38 UVgO, so dass ggfs. eine Nachreichung auch per Telefax erfolgen kann. Hat der Auftraggeber einen Kommunikationsweg gewählt, dann darf er für die Nachreichung jedenfalls keinen anderen und erst recht keinen schwierigeren Kommunikationsweg vorgeben.

Hinweis
Dieser Beitrag ist der erste Teil der Serie: Eignungsprüfung. Weitere Informationen finden Sie auf der Serienseite hier.

The post Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren (Teil 2) appeared first on Vergabeblog.

Die Innovationspartnerschaft – Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Forschung, Entwicklung und Innovation sind der Schlüssel zu einem langfristigen Wachstum. Ohne technologischen Fortschritt lebt unser Wohlstand nur auf Raten. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat ist daher gefordert, in den Fortschritt zu investieren. Die EU hat diesen Ansatz auch im Vergaberecht berücksichtigt, was dazu führte, dass Deutschland im Jahre 2016 ein neues Vergabeverfahren eingeführt hat, das es den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen soll, „eine langfristige Innovationspartnerschaft für die Entwicklung und den anschließenden Kauf neuer, innovativer Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen zu begründen.“ (siehe in der Erwägung 49 zur Richtlinie 2014/24).

Einleitung

Die Innovationspartnerschaft wird in Deutschland kaum genutzt, wie ein rascher Blick in TED sofort zeigt. Dies ist bedauerlich, da die Innovationspartnerschaft ein durchaus sinnvolles Verfahren zur Förderung von F&E darstellen kann. Leider ist dieses Verfahren aber auch recht komplex, was ein Grund für dessen stiefmütterlichen Umgang sein dürfte. Ein anderer Grund dürfte sein, dass Einkaufs- und F&E-Abteilung in der Regel voneinander getrennt agierende Einheiten sind; bei der Innovationspartnerschaft müssen diese jedoch zwingend zusammenarbeiten. Nachstehend soll daher die Innovationspartnerschaft noch einmal kurz und prägnant erläutert werden. Dabei wird zunächst der vergaberechtliche Rahmen aufgezeigt, sodann wird der Definition nachgegangen, um sodann ihre Stellung und „Abgrenzung“ zu anderen Vergabearten aufzuzeigen.

Vergaberechtlicher Rahmen

Die Innovationspartnerschaft ist in den Richtlinien 2014/24 („klassische Vergaben“) sowie 2014/25 (Sektoren) geregelt. Entsprechend wurde sie im Jahre 2016 in deutsches Recht im GWB, der VgV, VOB/A-EU und der SektVO umgesetzt. Die Innovationspartnerschaft ist historisch bedingt indessen nicht in der VSVgV für den Bereich Sicherheit und Verteidigung geregelt, obgleich man sie gerade dort erwarten sollte. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der EU-Gesetzgeber im Fall der Neuauflage der entsprechenden Richtlinie 2009/81 auch für den Bereich Sicherheit und Verteidigung die Innovationspartnerschaft als weitere Verfahrensart zur Verfügung stellt. Auch im Unterschwellenbereich sucht man leider vergebens nach der Innovationspartnerschaft. Denkbar wäre sie jedoch auch dort, wozu es jedoch einer haushaltsrechtlichen Anordnung bedürfte.

Definition der Innovationspartnerschaft

§ 119 Abs. 7 GWB definiert die Innovationspartnerschaft als ein Verfahren zur Entwicklung innovativer Leistungen, die nicht auf dem Markt verfügbar sind, und deren anschließendem Erwerb. Damit sind bereits die beiden wichtigsten Voraussetzungen zu ihrer Anwendbarkeit genannt. Im Detail geregelt ist die Innovationspartnerschaft in § 19 VgV. Nach dessen Absatz 6 wird sie „durch Zuschlag auf Angebote eines oder mehrerer Bieter eingegangen.“ Der Begriff der Innovationspartnerschaft ist somit doppelseitig: Zum einen handelt es sich um eine Verfahrensart des Vergaberechts, die z.B. neben dem offenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren steht. Zum anderen handelt es sich um einen Vertrag zwischen öffentlichem Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmen (Partnern), der in eine Forschungs- und Entwicklungsphase sowie eine Leistungsphase strukturiert ist (Innovationspartnerschaft „im engeren Sinn“).

Verhältnis zur vorkommerziellen Beschaffung

Um dem Sinn und Zweck der Innovationspartnerschaft näher zu kommen, lohnt ein kurzer Blick auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Danach müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine beauftragte Leistung nicht dem Vergaberecht unterfällt:

  1. Es muss eine Forschungs- oder Entwicklungsdienstleistung beauftragt werden,
  2. die unter die Referenznummern 73000000-2 bis 73120000-9, 73300000-5, 73420000-2 und 73430000-5 CPV fällt,
  3. die Ergebnisse erzeugen soll, die nicht ausschließlich Eigentum (bzw. „Nutzungsrecht“) des Auftraggebers für seinen Gebrauch und bei der Ausübung seiner Tätigkeit werden, oder
  4. die Dienstleistung wird nicht vollständig durch den Auftraggeber vergütet.

Die Europäische Kommission hat auf Grundlage dieser Ausnahme (die bereits in den Vorgängerrichtlinien enthalten war) das Instrument der sog. „vorkommerziellen Beschaffung“ (pre-commercial procurement – PCP) geschaffen. PCP ist trotz des missverständlichen Namens gerade keine Vergabe, PCP ist vergabefrei (siehe dazu zuletzt Brussels, Commission notice of 15.5.2018 “Guidance on Innovation Procurement” C(2018) 3051 final). Der vorkommerziellen Beschaffung schließt sich in aller Regel eine Beschaffung innovativer Leistungen (public procurement of innovation solutions – PPI) an. Bei PPI findet das Vergaberecht Anwendung. PCP und PPI sind daher strikt zu trennen. Darin wird auch ein Nachteil gesehen, da die „Gewinner“ des PCP nicht unbedingt die Leistung im PPI auch produzieren und ausliefern. Anders bei der Innovationspartnerschaft: Dort muss der Auftraggeber grundsätzlich bei dem Unternehmen die innovative Leistung beschaffen, die vorher durch eben dieses Unternehmen entwickelt wurde.

Die Innovationspartnerschaft kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Voraussetzungen des PCP, d.h. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht erfüllt werden, der Auftraggeber aber gleichwohl eine innovative Leistung beschaffen möchte und mehrere Partner an der innovativen Lösung arbeiten sollten. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Auftraggeber ein Interesse daran hat, dass er vollständig die gewerblichen Schutzrechte erhält, was bei einem PCP nicht möglich ist.

Verhältnis zum Verhandlungsverfahren

Auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ist zulässig, wenn „der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst“, § 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV. Im Unterschied zur Innovationspartnerschaft wird die Lösung aber von einem Unternehmen (dem bezuschlagten Bieter) entwickelt, während die Innvovationspartnerschaft eine Entwicklung durch mehrere Unternehmen („Partner“) zulässt (…). Ein weiterer Unterschied wird darin gesehen, dass das Verhandlungsverfahren zumindest eine grundlegende Vorstellung des öffentlichen Auftraggebers vom Beschaffungsgegenstand voraussetze (Knauff/Meurers, § 19 VgV, Rn. 18 m.w.N.). M.E. ist dies als Unterscheidungskriterium untauglich, da eine solche Vorstellung vom Beschaffungsgegenstand der Innovationspartnerschaft nicht schadet.

Die nachstehende Grafik zeigt vereinfacht die Unterschiede der beiden Verfahrensarten auf.

Verhältnis zum wettbewerblichen Dialog

Auch der wettbewerbliche Dialog eignet sich aufgrund seiner Flexibilität, innovative Leistungen zu beschaffen. Knauff (NZBau 2018, 134, 138) grenzt den wettbewerblichen Dialog zur Innovationspartnerschaft ab. Die Innovationspartnerschaft setze voraus, dass sich die Leistung letztlich als eine unmittelbare Fortentwicklung eines am Markt vorhandenen Angebots darstellen müsse oder der notwendige Entwicklungsschritt sich als so grundlegend erweisen müsse, dass die Leistung trotz ihrer fehlenden Neuartigkeit einer Neuentwicklung letztlich gleichstehe. Meines Erachtens ist bereits der Ansatz einer „Abgrenzung“ falsch, da die Verfahren in keiner Hierarchie zueinander stehen, d.h. sich auch nicht gegenseitig ausschließen müssen. Gerade und auch die Verbesserung bestehender Lösungen fällt in den Anwendungsbereich der Innovationspartnerschaft, der anderenfalls praktisch fast nicht eröffnet wäre. Die Verbesserung muss „deutlich“ sein, aber nicht, wie Knauff meint, einer „Neuentwicklung gleichstehen“. Die Kommission scheint in ihrer Mitteilung vom 15.05.2018 (“Guidance on Innovation Procurement” C(2018) 3051 final) geringe Anforderungen an die Zulässigkeit der Innovationspartnerschaft zu haben, danach genügt, dass die Leistung am Markt nicht verfügbar ist und irgendwie eine Innovation auftritt (Ziffer 4.2.3.4).

Voraussetzungen der Innovationspartnerschaft

Zusammengefasst ist die Innovationspartnerschaft unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

1. Das GWB mit VgV bzw. SektVO bzw. VOB/A, 2. Abschnitt muss anwendbar sein
2. Ziel muss die Entwicklung einer innovativen Leistung und deren anschließender Erwerb sein
3. Die zu beschaffende Leistung darf am Markt nicht verfügbar sein

Die beiden wichtigsten Voraussetzungen werden nachstehend erläutert.

Voraussetzung: „Ziel muss die Entwicklung einer innovativen Leistung und deren anschließender Erwerb sein“

Zur Orientierung, was eine innovative Leistung bedeutet, ist die Definition in Art. 2 Richtlinie 2014/24 Nr. 22 heranzuziehen; diese lautet: „Innovation“ die Realisierung von neuen oder deutlich verbesserten Waren, Dienstleistungen oder Verfahren, einschließlich — aber nicht beschränkt auf — Produktions-, Bau- oder Konstruktionsverfahren, eine neue Vermarktungsmethode oder ein neues Organisationsverfahren in Bezug auf Geschäftspraxis, Abläufe am Arbeitsplatz oder externe Beziehungen, u. a. mit dem Ziel, zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen oder die Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu unterstützen.

Voraussetzung: „Die zu beschaffenden Leistungen dürfen am Markt nicht verfügbar sein“

Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber eine Markterkundung nach § 28 Abs. 1 VgV durchzuführen hat, also eine Pflicht. Fraglich dabei ist, welchen Aufwand er dabei anstrengen muss. Dies ist gerichtlich noch nicht klar entschieden. Die EU Kommission empfiehlt in ihrem „Public Procurement Guidance for Practitioners“ (Februar 2018) die Verwendung der von der OECD entwickelten Vorgehensweise, welche eine (überschaubare) Vorlage für einen Marktanalysebericht umfasst („Tool: Template for market study report“). Zum genauen Inhalt und der Tiefe der Markterkundung wird leider geschwiegen. Auch liegt dazu noch keine gefestigte Rechtsprechung vor. Weitere Anforderungen an die Markterkundung ergeben sich weiterhin aus dem Beihilferecht.

So heißt es in der Mitteilung der Kommission vom 15.5.2018, dass öffentliche Auftraggeber, um eine Beihilfe zu vermeiden, in der Lage sein müssen, im Vorfeld der Vergabe alle Wirtschaftsteilnehmer identifizieren müsse, die sowohl die Entwicklung als auch die anschließende Lieferung des Endprodukts oder der Dienstleistung erfüllen können. So könnten relevanten Informationen über die Verfügbarkeit solcher Unternehmen oder möglicherweise interessierter Unternehmen durch eine vorangehende Marktkonsultation in Erfahrung gebracht werden, die vor der Veröffentlichung des eigentlichen Vergabeverfahrens zu erfolgen hat.

Besonderheiten bei den Vergabeunterlagen

Was die Vergabeunterlagen beinhaltet, ist in § 29 VgV geregelt. Bei der Innovationspartnerschaft ergeben sich dazu einige Besonderheiten, die vom öffentlichen Auftraggeber zu beachten sind:

1. Bewerbungsbedingungen

Der öffentliche Auftraggeber verhandelt mit allen Bietern. Er darf sich den Zuschlag auf ein Erstangebot nicht vorbehalten.

Der öffentliche Auftraggeber muss die zum Schutz des geistigen Eigentums geltenden Vorkehrungen festlegen, dies sind tatsächliche technische und ggfs. personelle Vorkehrungen.

2. Eignungskriterien

Es sind Eignungskriterien vorzugeben, die die Fähigkeiten der Unternehmen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung sowie die Ausarbeitung und Umsetzung innovativer Lösungen betreffen (ergänzende Regelung zu § 46 VgV).

3. Zuschlagskriterien

Eine Erteilung des Zuschlags allein auf der Grundlage des niedrigsten Preises oder der niedrigsten Kosten ist ausgeschlossen (ergänzende Regelung zu § 58 VgV).

4. Leistungsbeschreibung / Vertragsbedingungen

Der öffentliche Auftraggeber muss in den Vergabeunterlagen die zum Schutz des geistigen Eigentums geltenden Vorkehrungen festlegen (ergänzende Regelungen zu § 31 VgV). Die Forschungs-, Entwicklungs- und Leistungsphase müssen geregelt werden. Die Phasen sind durch die Festlegung von Zwischenzielen zu untergliedern, bei deren Erreichen die Zahlung der Vergütung in angemessenen Teilbeträgen vereinbart wird. Die Kündigungsmöglichkeiten und -Gründe einzelner Verträge bei mehreren Partnern sind festzulegen. Das Leistungsniveau und die Kostenobergrenzen sind festzulegen.

Häufig wird es bei den Verhandlungen zu erforderlichen Anpassungen der Leistungsbeschreibung kommen; solche sind zulässig und gerade bei der Innovationspartnerschaft typisch, solange nicht der Kern der Leistung betroffen ist. Zwar darf dabei nach § 19 Abs. 5 S. 2 VgV nicht über die in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien verhandelt werden, allerdings betrifft dieses Postulat hinsichtlich der Mindestanforderungen zwingend nur das endgültige Angebot (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2018, Az VII-Verg 40/17, VII-Verg 42/17, VII-Verg 52/17 und VII-Verg 54/17).

Beihilferecht bei der Innovationspartnerschaft

Eine besondere Herausforderung bei der Vergabe einer Innovationspartnerschaft ist, dass das Beihilferecht zu beachten ist.

Öffentliche Auftraggeber und Industrieunternehmen haben in der Regel gegenläufige Interessen, wenn es um die Frage der Einräumung von Nutzungs- und Verwertungsrechten (Intellectual Property Rights – IPR) an den Forschungsergebnissen geht.

Eine Innovationspartnerschaft könnte dazu führen, dass einem Unternehmen eine unzulässige Beihilfe nach Art. 107 AEUV gewährt wird. Eine Innovationspartnerschaft ist nach Auffassung der Kommission jedenfalls dann beihilferechtlich unbedenklich, wenn die Vorgaben aus dem Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation beachtet wurden. Leider ist aber die Anwendung des Unionsrahmens selbst nicht ganz trival und im Detail bestehen zwischen staatlichen Einrichtungen und Wirtschaft recht unterschiedliche Interpretationsansätze, wann eine unzulässige Beihilfe vorliegt.

Die Kommission gibt in ihrem Leitfaden vom 15.5.2018 unter Ziffer 4.2.3.4 zumindest ein (leider einziges) Beispiel dafür, wann keine Beihilfe vorliege: Nämlich dann, wenn der öffentliche Auftraggeber Leistungen beschafft, die so einzigartig oder speziell sind, dass er der einzige potentielle Käufer ist und dass es keine weiteren möglichen Unternehmen am Markt außerhalb der Innovationspartnerschaft gibt, die benachteiligt werden könnten. Diese Konstellation dürfte äußerst selten vorkommen und dürfte als Beispiel und Schützenhilfe daher auch nicht viel taugen.

Kritische Zusammenfassung und Praxishinweis

Die Innovationspartnerschaft hat aus meiner Sicht Potential, innovative Lösungen durch Vergabeverfahren zu beschaffen. Es ist das einzige Vergabeverfahren, das eine echte parallele Entwicklung zulässt, und was vergaberechtlich erlaubt ist, kann haushaltsrechtlich nicht verboten sein. Eine erfolgreiche Innovationspartnerschaft setzt jedoch eine eng verzahnte Zusammenarbeit der in Deutschland traditionell – teilweise strikt – getrennten „Abteilungen“ voraus, die da sind: Bedarfsträger (Fachbereich), Einkauf und Vergabestelle. Dazu kommt, dass die Innovationspartnerschaft rechtlich gesehen anspruchsvoll ist und neben der vergaberechtlichen, vor allem auch vertrags- und beihilferechtliche Expertise gefordert ist. Es fehlen nach wie vor Vorlagen für Vertrag und Bewerbungsbedingungen. Die Europäische Kommission wirbt derzeit damit, dass sie sich vergaberechtlich mit neuen Gesetzen zurückhalten wolle und nur noch praktische Anleitungen herausgeben möchte, um den Beschaffern zu helfen. Der jüngste Leitfaden vom 15.5.2018 (“Guidance on Innovation Procurement”) enttäuscht jedenfalls bei dem Kapitel zur Innovationspartnerschaft, da dort nur Altes wiederholt wird, und echte brauchbare Arbeitshilfen  ausbleiben.

The post Die Innovationspartnerschaft – Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen appeared first on Vergabeblog.

Keine Anwendbarkeit des § 132 GWB auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge

$
0
0
RechtSicherheit & VerteidigungUNBEDINGT LESEN!

Nach dem Zuschlag beginnt das Leben. Das Vertragsleben. Verträge sind lebendig und müssen gerade bei komplexen Leistungen oft erweitert, geändert und korrigiert werden, auch – und gerade – im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Zivilrechtlich ist dies in der Regel auch kein Problem, es herrscht Privatautonomie. Vergaberechtlich ist jede Änderung aber daraufhin zu untersuchen, ob sie eine Neuausschreibungspflicht begründet. Prüfungsmaßstab hierfür ist § 132 GWB, der weitestgehend auch im Unterschwellenbereich über den Verweis in § 47 UVgO Anwendung findet. Unser Autor Dr. Roderic Ortner, der sich häufig auch mit verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen befasst, gelangte zu dem auch für ihn verblüffenden Ergebnis, dass § 132 GWB auf solche Aufträge keine Anwendung findet.

Europarechtlicher Kontext

Zur Prüfung der Anwendbarkeit des § 132 GWB ist zunächst an den vergaberechtlichen Kontext zu erinnern. Auf der EU-Ebene bestehen die Vergaberichtlinien nebeneinander, wie das nachstehende Schaubild verdeutlicht.

Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit werden auf EU-Ebene in Art. 43 Richtlinie 2014/23, Art. 72 der Richtlinie 2014/24 und Art. 89 Richtlinie 2014/25 (bis auf das Fehlen der Wertgrenzen) behandelt, die wiederum auf der berühmten „Pressetext-Rechtsprechung“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beruhen (Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06). In der Richtlinie 2009/81 findet sich indes keine Regelung zur Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts bei Auftragsänderungen vergleichbar mit Art. 72 der Richtlinie 2014/24. Grund hierfür ist, dass das Thema legislativ erstmals mit den neuen Vergaberichtlinien des Jahres 2014 überhaupt im Vergaberecht adressiert wurde.

Die EU-Kommission hat sich auf Grundlage eines ausführlich hierzu erstellten Berichts vom 30.11.2016 (COM(2016)0762 final) ausdrücklich gegen eine Anpassung der Richtlinie 2009/81 ausgesprochen, da sich die betroffenen Kreise dann zu schnell wieder auf neue Regelungen einlassen müssten und dies zu Akzeptanzverlusten führen könnte.  In den Schlussfolgerungen des Berichts heißt es:

„Auf der Grundlage der Bewertung und in Übereinstimmung mit den Beiträgen der Mitgliedstaaten und Interessenträgern ist die Kommission der Ansicht, dass der Text der Richtlinie zweckmäßig, die Richtlinie in Bezug auf ihre Zielerreichung weitgehend auf dem richtigen Weg und eine Änderung der Richtlinie nicht notwendig ist.”

Die Umsetzung in deutsches Recht

Die Richtlinie 2009/81 wurde u.a. in § 104 GWB, der verteidigungsspezifische Aufträge definiert, und mit der VSVgV in deutsches Recht umgesetzt. Der Gesetzgeber hat aber noch etwas Merkwürdiges getan, er hat nämlich in § 147 GWB unter anderem auch § 132 GWB für anwendbar erklärt. Damit wollte der deutsche Gesetzgeber Rechtsklarheit und Einheitlichkeit herstellen (BT-Drs. 18/6281, S. 127), was ja durchaus ein hehres Ansinnen ist.

Europarechtswidrigkeit des § 147 in Verbindung mit § 132 GWB?

Die Frage ist: Durfte der deutsche Gesetzgeber das so machen? Denn eine Norm wie § 132 GWB fehlt schlicht in der Richtlinie 2009/81.

Wenn man § 132 GWB auch auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge anwendete, geht man über den Richtlinientext hinaus. Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 findet die Richtlinie auf Aufträge die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81 fallen, ausdrücklich gerade keine Anwendung!

Der EU-Gesetzgeber hatte bei der Einführung des Art. 72 der Richtlinie 2014/24 auch keinen Bedarf gesehen, eine solche Regelung in die Richtlinie 2009/81 zu integrieren, was legislativ ohne weiteres möglich gewesen wäre. Im Gegenteil sprach sich die EU-Kommission gegen eine Anpassung der Richtlinie 2009/81 und damit eine Übertragung der Regelung des Art. 72 der Richtlinie 2014/24 aus, siehe die Langfassung des oben zitierten Reports auf S. 129 und Fußnote 213; ein Mitgliedstaat hatte dies sogar ausdrücklich gefordert, im Ergebnis wurde jedoch kein Änderungsbedarf gesehen.

EU-Richtlinien geben andererseits den nationalen Gesetzgebern einen Rahmen vor, wenn auch meist einen sehr eng gesteckten. Sie können daher durchaus auch Lücken enthalten, die der nationale Gesetzgeber ausfüllen darf. Es stellt sich dann die Frage, welche Anforderungen der EU-Gesetzgeber in der Richtlinie aufstellt. Man unterscheidet hier zwischen den Anforderungen der Mindest- und Maximalharmonisierung (oder Vollharmonisierung): „Im Falle einer Mindestharmonisierung legt eine Richtlinie Mindeststandards fest (…). In diesem Fall haben die EU-Länder das Recht, höhere Standards festzulegen, als sie in der Richtlinie vorgegeben werden. Im Falle einer Maximalharmonisierung dürfen die EU-Länder keine strengeren Vorschriften als die in der Richtlinie festgelegten einführen.“ (EURLex – Erläuterungen zu Art. 288 AEUV). Fraglich ist, ob eine Vollharmonisierung durch die EU gewollt ist. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Zum Beispiel hatte der Europäische Gerichtshof der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG die Wirkung einer vollständigen Harmonisierung zugebilligt (Urteil vom 24.11.2011 – C-468, 469/10 Rn. 29 – ASNEF).

Vorliegend sprechen die o.g. Hinweise auf die Kommissionsberichte sowie Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2009/81 für eine solche Vollharmonisierung. Letzterer besagt:

„Die Schaffung eines europäischen Markts für Verteidigungsgüter setzt einen auf dessen Bedürfnisse zugeschnittenen rechtlichen Rahmen voraus. Im Bereich des Auftragswesens ist hierfür die Koordinierung der Vergabeverfahren unter Beachtung der Sicherheitsanforderungen der Mitgliedstaaten und der aus dem Vertrag erwachsenden Verpflichtungen erforderlich.“

Durch die Anordnung der Anwendbarkeit des § 132 GWB auch auf sicherheitsspezifische Aufträge in § 147 GWB stellt sich der deutsche Gesetzgeber somit an Stelle des europäischen, indem er quasi die Richtlinie 2009/81 um eine Regelung erweitert, die vom EU-Gesetzgeber (zumindest derzeit) nicht gewünscht ist. Es wurde damit genau das Gegenteil von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erzielt. Es ist auch nicht richtig, dass § 132 GWB, wie der Kollege Horn meint, „letztlich ohnehin geltendes Primärrecht aufgreift und präzisiert.“ (in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergR, 5. Aufl. 2016, § 147 GWB, Rn. 9).  Tatsächlich geht die Regelung über die Grundsätze des EuGH aus der pressetext-Rechtsprechung und Folgeentscheidungen hinaus, etwa, was die 50-%-Begrenzung von Erweiterungsaufträgen betrifft.

Der deutsche Gesetzgeber hat damit keine Lücke im EU-Recht ausgefüllt, da es hierfür insoweit an der Planwidrigkeit der Lücke fehlt. Es ist auch noch völlig offen, ob und wenn ja, wie der EU-Gesetzgeber im Fall einer Reform der Richtlinie 2009/81 das Thema Auftragsänderung adressiert, insbesondere ob er auch dort eine 50-%-Grenze einziehen wird. So findet sich in Art. 89 Richtlinie 2014/25 gerade keine solche Begrenzung. Es erscheint aber zumindest naheliegender, dass der EU-Gesetzgeber den Sonderbereich „Sicherheit und Verteidigung“ an den Sonderbereich „Sektoren“ anlehnen wird und nicht an die „klassischen“ Vergaben der Richtlinie 2014/24.

Ergebnis und Praxisempfehlung

Es bestehen gewichtige Zweifel, ob auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge § 132 GWB überhaupt Anwendung findet. Prüfungsmaßstab bei Änderungen laufender Verträge im Bereich Sicherheit / Verteidigung wäre damit korrekterweise weiterhin die pressetext-Rechtsprechung des EuGH. Gleichwohl sollte eine Änderung vorsorglich stets auch an § 132 GWB getestet werden, solange dazu keine gerichtliche Entscheidung vorliegt. Relevant wird das Thema dann, wenn die Prüfung zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Spätestens dann muss der Rechtsanwender Farbe bekennen.

The post Keine Anwendbarkeit des § 132 GWB auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge appeared first on Vergabeblog.

Von der Klarheit und Bestimmtheit der Zuschlagskriterien und was Auftraggeber so alles falsch machen können (VK Südbayern, Beschl. v. 21.01.2019 – Z3-3-3194-1-38-11/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDie Vergabekammer Südbayern hat sich intensiv mit der Frage befasst, wie transparent ein Auftraggeber die Zuschlags- und Unterkriterien festlegen muss. Bleibt unklar, was er bei einem normativen Kriterium erwartet, z.B. an Funktionalitäten oder Eigenschaften, was er positiv oder negativ bewertet, dann ist das Kriterium unzureichend und eine darauf beruhende Wertung ebenfalls.

GWB § 127; VgV § 58

Sachverhalt

Die Auftraggeberin, eine Stadt, wollte Teile ihrer mittelalterlichen Stadtmauer mit Bastion generalsanieren und lobte dazu einen Realisierungswettbewerb für Architektenleistungen aus. 17 (vermutlich) unbezahlte Wettbewerbsarbeiten wurden eingereicht. Als Kriterien für deren Bewertung gab die Stadt an: Städtebauliche Einbindung, Umgang mit dem Bestand, Gestaltung, Qualität der Innen- und Außenräume, innere und äußere Erschließung, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit. Drei Bewerber gelangten in die engere Wahl, die Arbeiten wurden öffentlich ausgestellt und es wurden Workshops durchgeführt (vermutlich auch kostenlos). Die drei Bewerber reichten sodann Angebote ein. Die Zuschlagskriterien lauteten:

1. Ergebnis des Wettbewerbs, Rangfolge 40 % Gewichtung, max. 200 Wertungspunkte

2. Ergebnis der Überarbeitung des Wettbewerbs 40 % Gewichtung, max. 200 Wertungspunkte

3. Organisation, Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals 15 % Gewichtung, max. 0,75 Wertungspunkte

4. Honorar 5 % Gewichtung, max. 0,25 Wertungspunkte

Die Unterkriterien wurden jeweils mit einem Schulnotensystem von  0 bis 5 Punkten bewertet. Zum zweiten Zuschlagskriterium gab es z.B. das Unterkriterium architektonische Qualität und Umgang mit dem Bestand mit einem Schulnotensystem. Letzteres Kriterium wurde dem Auftraggeber letztlich zum Verhängnis.

Ein Bewertungsgremium prüfte die Angebote und auf Platz 1 landete das Architekturbüro, das bereits mit der Vorplanung befasst war Der Zweitplatzierte rügte daraufhin die Besetzung des Gremiums, den fehlenden Ausschluss des Projektanten, die fehlende Vergabereife aufgrund der ungelösten Urheberrechtsthematik und dass die Bewertung des Angebots aufgrund nicht bekannter Kriterien erfolgte. Den Rügen wurde nicht abgeholfen und der enttäuschte Bieter stelle einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern.

Die Entscheidung

Und diese gab ihm in einem Punkt Recht. Sie stieß sich vor allem an der Angebotswertung. Diese beruhe nämlich, so die Vergabekammer, auf einem Zuschlagskriterium Umgang mit dem Bestand, das nicht hinreicht bestimmt gewesen sei. Der Auftraggeber habe seine Erwartungshaltung mitzuteilen, erforderlichenfalls durch geeignete Unterkriterien. Dies gelte insbesondere bei funktionalen Ausschreibungen. Die Bieter wiederum müssen klar erkennen können, was von ihnen verlangt werde und es müssten hinreichende Anhaltspunkte für eine günstige oder ungünstige Benotung gegeben werden. Diesen Anforderungen werde das Unterkriterium Umgang mit dem Bestand nicht gerecht. Es bleibe völlig offen, welche Anforderungen, Eigenschaften oder Funktionalitäten im Einzelnen in diesem Unterkriterium gewertet würden; was hier im Einzelnen in welcher Form positiv oder negativ bewertet werde und auf welche Weise eine vergleichende Beurteilung der Bieter im Wettbewerb erfolgen sollen. In der Konsequenz sei auch die Bewertung intransparent und im Quervergleich inkonsistent.

Zudem sei die individuelle Angebotswertung fehlerhaft, da diese aufgrund der fehlenden separaten Bepunktung der Unterkriterien nicht nachvollziehbar sei und im Bereich der Unterkriterien Umgang mit dem Bestand und Funktionalität Diskrepanzen im Vergleich zur Bewertung der Beigeladenen bestünden. Werden für die Beurteilung eines weit gefassten, unbestimmten Bewertungskriteriums wie dem Ergebnis der Überarbeitung des Wettbewerbs zu seiner Konkretisierung und weiteren Präzisierung Unterkriterien gebildet und deren Gewichtung festgelegt, so ist der Auftraggeber an diese gebunden und verpflichtet diese anzuwenden. Zwar habe die Stadt zu jedem Unterkriterium stichwortartig dokumentiert, welche negativen Aspekte dabei zu einem Punktabzug führen würden, wie sich diese jedoch bei welchem Unterkriterium auswirken, lässt sich der Dokumentation trotz dieser Ausführungen nicht entnehmen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung liest sich überzeugend; allerdings ist Vorsicht geboten, wie zukünftig mit solchen Themen umzugehen sein wird. Die Vergabekammer befindet sich zunächst auf der Linie der jüngsten Entscheidungspraxis der Vergabekammer des Bundes und des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Die Konkretisierung der Zuschlagskriterien und der Erwartungshaltung des Auftraggebers werden dort wieder besonders betont. Meines Erachtens ist diese Betonung Folge der jüngeren Entscheidungen des EuGH und BGH in Sachen Schulnoten und Transparenz der Bewertungsmethode. Zur Erinnerung: Nach dem EuGH besteht keine Pflicht des Auftraggebers den Bietern die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen (EuGH v. 14.07.2016 – C-6/15 Dimarso). Und nach BGH steht es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) nicht entgegen, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte () im Rahmen der Angebotswertung benotet werden und einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhalten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen soll. Schulnotensysteme sind also erlaubt. Allerdings hat der BGH im selben Atemzug die Auftraggeber daran erinnert, dass die Bewertung darauf hin überprüfbar sein muss, ob diese nachvollziehbar und plausibel erfolgten (BGH v. 04.04.2017 X ZB 3/17). Hierin lesen die Nachprüfungsinstanzen offenbar einen eigenen Prüfauftrag der Bewertung. Hierin besteht meines Erachtens nun die eigentliche Gefahr: Nämlich dass sich eine Vergabekammer an Stelle des Auftraggebers stellt und dessen Bewertung für unwirksam erklärt. Folge ist dann die (Teil-) Aufhebung des Verfahrens. Und genau hier ist Vorsicht geboten: Bewertungen gerade im konzeptionellen Bereich sind, ähnlich der Situation in einer Prüfung, oft subjektiv geprägt und erfolgen vor dem Erfahrungshorizont des oder der konkreten Prüfer. Den Kern dieser Prüfung sollte weder eine Vergabekammer noch ein Gericht angreifen können, sie können es mangels Fachkompetenz in aller Regel auch nicht. Solche Entscheidungen dürfen und sollten nur auf offensichtliche Fehler geprüft werden können, d.h., es muss eine Grenze gezogen werden, innerhalb derer die Vergabekammer nichts zu suchen hat. Ob die Vergabekammer Südbayern nun diese Grenze überschritten hat, lässt sich mangels Detailkenntnisse des Verfahrens nicht beantworten; es ist aber durchaus bewundernswert (oder halt sogar schon bedenklich?), welche detaillierte Prüfung die Vergabekammer vorgenommen hat, hier eine Kostprobe aus dem umfangreichen Beschluss:

Im Unterkriterium Umgang mit dem Bestand bewertet die Antragsgegnerin negativ, dass die Antragstellerin bestehende Treppenhäuser im Foyer der ### abbricht und in den Türmen neu aufbaut. Hingegen wird der Entwurf der Beigeladenen hinsichtlich des Unterkriteriums Umgang mit dem Bestand somit keine Abweichungen von den Beurteilungskriterien bewertet, obwohl im Protokoll des Bewertungsgremiums durchaus ein Kritikpunkt aufgeführt ist. Daneben wurde vom Bewertungsgremium als positiver Punkt vermerkt, dass die bestehenden Treppenhäuser überwiegend erhalten bleiben. Dies bedeutet, dass auch die Beigeladene nicht alle Treppenhäuser erhält, was aber keinen Niederschlag in der Bewertung findet. Die Antragsgegnerin hat keinen Grund dafür dokumentiert, dass sie den Abbruch von Treppenhäusern bei der Beigeladenen nicht negativ bewertet, obwohl sie den Abbruch der Treppenhäuser bei der Antragstellerin als Kritikpunkt aufgeführt hat.

Die Vergabekammer befasst sich mit dem Umgang der Treppenhäuser und dass die Stadt dazu bestimmte Erwägungen nicht dokumentiert hat, die sich auf die Punktebewertung auswirkten. Geht das vielleicht schon zu weit? Dies erinnert mich jedenfalls ein wenig an die damaligen Argumente gegen die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, das bekanntlich sog. Schulnotensysteme verbrämt hatte. Das OLG Düsseldorf verlangte in seiner zwischenzeitlich aufgegebenen Rechtsprechung, dass der Auftraggeber zu jedem bestimmten Punktwert im Vorfeld mitteilt, was der Bieter leisten muss, um diesen Punkt zu erhalten. Aber sollte dem Auftraggeber auf der letzten Stufe nicht wieder ein eigener Bewertungsspielraum verbleiben? Wenn dies negiert und eine Vergabe aufgehoben wird, dann schwingt stets der Vorwurf mit, der Auftraggeber habe mit Absicht manipuliert. Auch beim Lesen der vorliegenden Entscheidung strahlt stets dieser Vorwurf durch die Zeilen.

Der EuGH hat in der grundlegenden Entscheidung in Sachen Dimarso indes eine Grenze aufgezeigt:

Ein Bewertungsausschuss muss bei der Erfüllung seiner Aufgabe über einen gewissen Freiraum verfügen und darf somit, ohne die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung festgelegten Zuschlagskriterien zu verändern, seine Tätigkeit der Prüfung und Bewertung der eingereichten Angebote strukturieren. Dieser Freiraum ist auch aus praktischen Erwägungen gerechtfertigt. Der öffentliche Auftraggeber muss in der Lage sein, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, an die Umstände des Einzelfalls anzupassen.

Was lernen wir daraus? Die Rechtsprechung muss meines Erachtens aufpassen, dass auch diese Freiräume des Auftraggebers verbleiben und dass durch die neuere Betonung der Konkretisierung der Unterkriterien und Erwartungshaltung die Möglichkeit der Vergabe von Schulnoten nicht wieder ausgehöhlt wird. Denn sonst wird sich kein Auftraggeber mehr trauen, Bewertungen von Konzepten durchzuführen. Für Kreativität und Innovation bleibt dann leider kein Raum mehr. Natürlich darf auch nicht manipuliert werden und es ist zugegeben ein schmaler Grat und ein entsprechend anspruchsvoller Balanceakt, den Vergabekammer vollziehen müssen.

Praxistipp

Wenn Sie Auftraggeber sind, sich möglichst wenig Arbeit und möglichst nicht angreifbar machen wollen, dann verzichten sie gänzlich auf normative Zuschlagskriterien. Bewertet wird dann nur noch der Preis. Dies ist freilich eine traurige Botschaft, wie schon damals bei den Schulnoten. Wenn Sie es anders machen wollen, dann drücke ich die Daumen, dass die Vergabe beanstandungsfrei durchgeht. Oder vielleicht denken Sie einmal darüber nach, für einen hohen Aufwand, den Sie Bewerben abfordern, eine Entschädigung zu bezahlen. Dann dürfte der Schmerz zu verlieren geringer sein und ebenso die Motivation einer Rüge.

Wenn Sie Bieter sind und sich ungerecht bewertet fühlen, dann dürften Ihre Chancen, dass sich eine Vergabekammer die Bewertung sehr genau anschaut, gar nicht so schlecht sein. Eine Rüge ist dann meist auch gar nicht unbedingt zu spät, selbst wenn Sie die Bewertungskriterien vor Ablauf der Angebotsfrist gar nicht beanstandet haben. Die Vergabekammer Südbayern sah sich etwa nach dem Amtsermittlungsgrundsatz sogar verpflichtet, die Bestimmtheit der Beurteilungskriterien unabhängig von Rüge und Vortrag des Bieters miteinzubeziehen, um eine sachgerechte Überprüfung der beanstandeten individuellen Wertung überhaupt durchführen zu können.

The post Von der Klarheit und Bestimmtheit der Zuschlagskriterien und was Auftraggeber so alles falsch machen können (VK Südbayern, Beschl. v. 21.01.2019 – Z3-3-3194-1-38-11/18) appeared first on Vergabeblog.

Neues vom Vollst(r)ecker: Eine rein mündliche Präsentation ist vergaberechtlich unzulässig! (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungNicht zum ersten Mal hat sich der Vorsitzende der Vergabekammer Südbayern, Herr Steck, mit seinem Lieblingsthema befasst, nämlich der Wertung der Angebote in einem Vergabeverfahren (siehe ). Auch unser Autor, Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, befasst sich schon seit vielen Jahren mit diesem Thema (siehe z.B. Die Wertungsentscheidung im IT Vergabeverfahren, ITRB. 4/2019) und hat sich deshalb dieser doch durchaus überraschenden Entscheidung angenommen.

GWB § 127; VgV § 58, § 53, § 54, § 9

Leitsatz

  1. Ein Angebot ist nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV nicht nur dann auszuschließen, wenn es gesetzliche Formvorgaben wie z.B. nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 10 VgV (bei elektronischer Übermittlung) oder nach § 53 Abs. 5 und 6 VgV i.V.m. § 126 BGB bei postalischer oder direkter Übermittlung missachtet, sondern auch, wenn es vom Auftraggeber zulässigerweise aufgestellte, über die Formkategorien des BGB hinausgehende Formvorgaben missachtet. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn das Niveau der Datenintegrität und Manipulationssicherheit im betreffenden Angebot hinter dem vom Auftraggeber geforderten Niveau zurückbleibt.
  2. Für sämtliche Bestandteile des Angebots im vergaberechtlichen Sinn gelten die §§ 53, 54 und 55 VgV uneingeschränkt. Zur Vermeidung von vorzeitiger Kenntnisnahme und Manipulation ist hinsichtlich der Einhaltung der Formvorschriften keine Differenzierung zwischen den Bestandteilen des rein zivilrechtlichen Angebots (hier Honorarangebot und Vertrag) und den Angaben des Bieters zur Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien vorzunehmen.
  3. Das Mitbringen von wertungsrelevanten Angebotsbestandteilen zu Verhandlungsterminen, wobei die Bieter ihre Vorlagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mitbringen, kann weder nach § 53 Abs. 1 noch Abs. 5 VgV eine formgerechte Angebotsabgabe darstellen.
  4. Die Wertung rein mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform ist schon aufgrund von § 9 Abs. 2 VgV unzulässig.
  5. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB ist aufgrund des maßgeblichen Wortlauts des Art. 67 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU richtlinienkonform so zu lesen, dass dem öffentlichen Auftraggeber durch Zuschlagskriterien keine uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen werden darf.
  6. Ein Verbot der Berücksichtigung derselben Umstände bei der Eignungsprüfung und der Wertung von Zuschlagskriterien nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV besteht außerhalb der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 46 Abs. 3 Nr. 6 VgV zu Studien- und Ausbildungsnachweisen und Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung nicht.
  7. Bei der Vergabe von Planungsleistungen ist eine Losaufteilung nach Leistungsphasen innerhalb eines Leistungsbildes der HOAI nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Aufteilung gerade in die kreativen Leistungsphasen 1 bis 4 (oder 5) und die unkreativen, eher administrativen Leistungsphasen 5 (oder 6) bis 9, ist regelmäßig zu prüfen und diese Prüfung zu dokumentieren.

Sachverhalt

Auftragsgegenstand waren Ingenieurleistungen. Der geneigte Leser mag diese aber durch andere Dienstleistungen ersetzen, bei denen das eigesetzte Team eine wesentliche Rolle für die Qualität der Leistung spielt, z.B. im Bereich der IT-Beratung oder aber auch bei uns Rechtsanwälten. Bei der Entscheidung ging es um mehrere vergaberechtlich umstrittene und spannende Themen, z.B., ob eine doppelte Berücksichtigung von Referenzen auf Eignungs- und Zuschlagsebene (beim Personal) zulässig sei (was die Vergabekammer bejahte); ich möchte und muss mich hier indes auf das Thema fokussieren, das die Vergabekammer, soweit ersichtlich, als einzige erstmals so deutlich entschieden hat: Sie ist der Auffassung, dass eine rein mündliche Präsentation vergaberechtswidrig ist.

Gestört hatte sich die Vergabekammer an folgenden Zuschlagskriterien:

1. Personelle Besetzung (Gewichtung insgesamt 35%)

– Projektleiter

Persönliche Vorstellung des Projektleiters mit Darlegung des persönlichen Erfahrungshintergrundes (u. a. Referenzprojekte) bzw. der persönlichen Kenntnisse sowie der Einbindung in andere Projekte (zeitliche Verfügbarkeit). (10%)

– Stellvertretender Projektleiter

() (10%)

– Projektbearbeiter (Mitarbeiter für die einzelnen Teilaufgaben)

Vorstellung der vorgesehenen Projektmitarbeiter mit Darstellung der zeitlichen Verfügbarkeit bzw. Einbindung in andere Projekte. Darstellung der vorgesehenen Aufgabenverteilung innerhalb des Projektteams (5%)

– Darstellung der kurzfristigen Verfügbarkeit vor Ort in Planungs- und Ausführungsphase (10%)

2. Fachtechnische Lösungsansätze (Gewichtung insgesamt 25%)

Darstellung der Herangehensweise an komplexe fachtechnische Aufgabenstellungen anhand von praktischen Beispielen. Die Darstellung soll in Bezug auf den zu vergebenen Auftrag anhand eines realisierten Bauprojekts, das mit dem geplanten Vorhaben vergleichbar ist, erfolgen und kann durch Zeichnungen, Skizzen, Diagramme, Tabellen u. ä., die die Arbeitsweise verdeutlichen, ergänzend verdeutlicht werden ().

3. Strukturelle Herangehensweise (Gewichtung insgesamt 15%)

Analyse der Projektaufgabe mit Darstellung der zu erwartenden Schwierigkeiten sowie spezifischen Lösungsvorschlägen(15 %)

4. Präsentation (Gewichtung insgesamt 5%)

Formelle Präsentation / Gesamteindruck (5%)

Die Kriterien wurden durch ein Vergabegremium jeweils mit Punkten zwischen 0 (das Kriterium wurde ungenügend erfüllt) und 5 (das Kriterium wurde sehr gut erfüllt) bewertet, so dass eine maximale Punktzahl von 500 Punkten erreicht werden konnte.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer bejaht zunächst die Antragsbefugnis des angreifenden Bieters, obwohl dieser sein endgültiges Angebot verspätet eingereicht hatte! Begründung der Vergabekammer: Die Antragstellerin würde eine zweite Chance zur erneuten Angebotsabgabe erhalten, wenn auch das Angebot der Beigeladenen zwingend auszuschließen wäre, da nur zwei Angebote in der Wertung waren. Sollten Sie also als Bieter einmal ein Angebot verspätet eingereicht haben, dann denken Sie daran, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist.

Die Vergabekammer stellt sodann zu dem hier näher behandelten Thema zunächst fest, dass die o.g. Zuschlagskriterien teilweise nur auf der Basis ihrer mündlichen Angaben im Präsentationstermin bewertet wurden. Dies verstoße gegen die Formvorgaben an Angebote in §§ 53, 54 und 55 VgV sowie gegen § 9 Abs. 2 VgV, der die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren über Angebote verbiete. Weiterhin verstoße das Vorgehen gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, der vorschreibt, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

Denn:

„Die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform ist dabei als unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot anzusehen. Daher muss nach heute geltender Rechtslage der Auftraggeber auch in einem Verhandlungsverfahren, in dem die Wertung der Angebote auch aufgrund eines Verhandlungsgesprächs mit Präsentation stattfindet, stets sicherstellen, dass die maßgeblichen Inhalte von den Bietern bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe formgerecht (d.h. mindestens in Textform) eingereicht werden. Anders als möglicherweise unter der vor 2016 geltenden Rechtslage ist eine Angebotswertung, die sich ausschließlich auf mündliche Aussagen stützt, unzulässig.“

Die Vergabekammer schreibt dann recht deutlich, was sie von den Zuschlagskriterien hält: „Sie [die Auftraggeberin, Anm. Verf.] kann den Gesamteindruck der Präsentation allein anhand ihrer persönlichen Vorlieben und Sympathien/Antipathien bewerten, ohne dass für die Bieter in irgendeiner Art und Weise ansatzweise ersichtlich ist, worauf sie bei der Angebotserstellung zu achten haben.“

Rechtliche Würdigung

Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass die Vergabekammer hier auf einen Extremfall traf, da praktisch die gesamte qualitative Wertung allein auf Grundlage der Präsentation erfolgte. In der Regel werden heutzutage oft Qualifikationsprofile des einzusetzenden Personals mit dem Angebot verlangt, die dann bewertet werden. Hinzu kommt dann eventuell noch ein Personaleinsatzkonzept o.ä. Die Vergabekammer schreibt auch mehrfach, dass sie beanstandet, dass die Wertung ausschließlich auf Grundlage einer Präsentation erfolge.

Dass eine Präsentation, die in die Wertung einfließen soll, grundsätzlich unzulässig sein soll, kann ich in dieser Grundsätzlichkeit aber nicht aus der Entscheidung ablesen. So schreibt die Vergabekammer, dass die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform eine unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot darstellt und dass das Kriterium Präsentation, das lediglich mit den Worten Formelle Präsentation / Gesamteindruck konkretisiert sei, gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verstoße und daher unzulässig sei. Im Umkehrschluss könnte man daraus folgern, dass eine Präsentation zunächst zulässig sein könnte, wenn sie eine Basis in Textform hat und wenn die Unterkriterien ausreichend konkretisiert werden.

Nun stellt sich freilich die Frage, wie dies in der Praxis vonstatten gehen soll. Aus meiner Sicht wohl nur, indem der Auftraggeber zunächst mit dem Angebot Qualifikationsprofile und ein Konzept einfordert und diese auf Grundlage der von ihm bekannt gemachten Unterkriterien und Erwartungshaltung nach bewertet, wobei ein Schulnotensystem bei der Bewertung des Konzepts zulässig ist. Eine Wertung findet daher allein nach dem Schriftbild statt. In der Präsentation können dann weitere Kriterien geprüft werden, etwa, ob das vorgesehene Team das Konzept nachvollziehbar und schlüssig vorträgt und auf Rückfragen qualifiziert und nachvollziehbar reagiert. Ähnlich wie bei einer mündlichen Prüfung kann der Auftraggeber dadurch verifizieren, dass das, was ihm schriftlich angeboten wird, auch tatsächlich dem Know-how des Teams entspricht und nicht lediglich aus einer Schublade gezogen wurde.

Aber wollen Sie darauf wetten, dass eine solcherart gestaltete Präsentation von der für Sie zuständigen Vergabekammer als zulässig erachtet wird? Es kommt dann sehr auf die Kriterien an, die bei der Präsentation geprüft werden. Ich selbst habe schon Ausschreibungen erlebt, bei denen die Präsentation mit 30 % in die Wertung einfließen sollte und als Wertungskriterium die Eloquenz (kein Witz) des einzusetzenden Rechtsanwalts bewertet werden sollte. Es ging um vergaberechtliche Beratung wohlgemerkt (die Ausschreibung wurde übrigens aufgehoben; zwei Mal!). Hand aufs Herz: Das eigentliche und auch durchaus menschliche und nachvollziehbare Ansinnen einer Präsentation ist doch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Auftraggebers wissen möchten, mit wem sie ein Jahr oder länger zusammenarbeiten müssen, ob also die Chemie stimmt. Nur: Chemie hat im öffentlichen Auftragswesen und Haushaltsrecht keinen Platz! Und was, wenn eines der angebotenen Teammitglieder an dem oft auch nur kurz vorher festgelegten Präsentationstermin im Urlaub ist, eigentlich heiraten wollte oder schlichtweg krank ist oder einen schlechten Tag erwischt hat und deshalb nicht gut rüberkommt?

Im Ergebnis neige ich daher der Auffassung der Vergabekammer auch zu. Ergänzend zu den Rechtsausführungen der Vergabekammer mag auch nochmal ins Gedächtnis gerufen werden, was der Sinn und Zweck eines Verhandlungsverfahrens ist. § 17 Abs. 10 VgV sagt, dass der öffentliche Auftraggeber mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Angebote verhandelt, „mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern“.  Von einer Präsentation ist hier keine Rede. Übertragen auf unser Thema heißt das zum Beispiel: Der Auftraggeber darf den Bietern in der Verhandlung, die auch eine Präsentation des Angebots beinhaltet darf, Hinweise geben, wo der Bieter sein Angebot noch verbessern könnte, z.B. durch Verbesserung des eingereichten Konzepts. Eine eigene Bewertung dieses Termins erfolgt nicht, wohl kann aber der Termin seinen Niederschlag in dem endgültigen Angebot finden und dadurch mittelbar in die Wertung einfließen.

Praxistipp

Ob andere Vergabekammern und letztlich Vergabesenate und vielleicht auch einmal der BGH oder der EuGH der Auffassung der Vergabekammer folgen, ist völlig offen. Wenn Sie als Auftraggeber jedes Risiko einer Rüge ausschließen wollen, sollten Sie auf die Festlegung und Wertung des Zuschlagskriteriums Präsentation verzichten, alle Male Auftraggeber, die sich im Zuständigkeitsbereich des Vollst(r)eckers befinden.

The post Neues vom Vollst(r)ecker: Eine rein mündliche Präsentation ist vergaberechtlich unzulässig! (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18) appeared first on Vergabeblog.

Sensationsentscheidungen oder rechtliche Irrwege? Vergabekammer legt strengen Maßstab an die Leistungsbeschreibung bei Rahmenvereinbarungen an und verkündet nebenbei noch das Ende von sog. Back-up-Verträgen (VK Berlin, Beschl. v. 13.09.2019 – VK B 1-13/19)

$
0
0
ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDie Vergabekammer hat sich in einer lesenswerten Entscheidung mit etlichen schwierigen Themen des Vergaberechts befasst. Aus meiner Sicht sind drei Themenkomplexe hervorzuheben: Erstens die Frage, ob ein Auftraggeber an den Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gebunden ist, wenn er sich des Instruments der Rahmenvereinbarung bedient. Zweitens die Frage, ob und inwieweit ein Bieter in einem Vergabenachprüfungsverfahren überhaupt rügen kann, dass vertragsrechtliche Regelungen unzumutbar oder (zivilrechtlich) unwirksam seien. Und drittens, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Auftraggeber zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit z.B. neben einem Hauptlos ein Back-up-Los bilden darf. Die Vergabekammer hat auch noch weitere Highlights (oder besser: Evergreens) angesprochen, wie etwa die Zulässigkeit eines Bewertungssystems für Konzepte und die Frage der Zulässigkeit von Regelungen zur Vertragserweiterung, letztere hier aus Platzgründen dann nicht näher ausgeleuchtet.

GWB § 97, § 121; VgV § 21, § 30

Sachverhalt

Gegenstand der Vergabe war der Betrieb, die Wartung, Inspektion sowie Instandsetzung von verschiedenen Heiz-, Wärme- und Warmwasseranlagen über sechs Jahre mit zweimaliger Verlängerungsoption um jeweils weitere fünf Jahre, also nach Adam Riese bis höchstens 16 Jahre. Die Leistung wurde in 12 Lose aufgeteilt. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit hat der Auftraggeber weitere 12 Lose als Back-up vorgesehen. Im Back-up-Fall sollten dann die Festlegungen des Betreiber-Vertrags gleichermaßen gelten. Eine Bindung als Backup-Vertragspartner kam nur für solche Lose in Betracht, bei denen der Bieter keinen Zuschlag auf die Hauptleistung erhalten hat.

Ein Bieter war der Ansicht, dass die Abgabe eines chancenreichen Angebotes nicht möglich sei, da die Leistungen nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben worden seien. Die Abgabe vergleichbarer Angebote sei deshalb nicht zu erwarten, eine echte Wettbewerbssituation sei nicht gegeben. So fehle eine klare Definition der Leistungs- und Liefergrenzen in Bezug auf die Komponenten der Fernwärmeanlagen. Für eine kaufmännische Kalkulation sei Kenntnis über Art und Umfang der Mitwirkungsleistung des Auftraggebers zur Übergabe der Anlagen erforderlich. Es fehlten auch überwiegend Mengenangaben sowie die Offenlegung des Zustands der zu übernehmenden Technik. Ohne Mengenangaben sei auch für ein fachkundiges Unternehmen keine kaufmännische Kalkulation möglich. Auch sei die Angabe der jeweiligen Hersteller, des Inbetriebnahmedatums, ob die Anlage vom Hersteller, einem zertifizierten Partner oder jedem Fachbetrieb betrieben, instandgehalten und gewartet werden dürfe, relevant. Weiterhin seien vor dem Hintergrund der vertraglichen Sanktionen Angaben zum Meldeaufkommen von Störungen der letzten drei Jahre für die Kalkulation ebenso erforderlich, wie Vorgaben bzw. einzuhaltende Parameter oder Toleranzgrößen hinsichtlich der geschuldeten Überwachung der Anlagen.

Der Bieter ließ dann noch viele weitere Rügen folgen, die allesamt in diese Richtung liefen.
Mit Blick auf verschiedene vertragsrechtliche Vorgaben war die Antragstellerin der Ansicht, dass diese unzumutbare Risiken darstellten und es nicht möglich sei, unmögliche Forderungen im Wege einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation einzupreisen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gab dem Bieter (Antragsteller) weitestgehend recht. Sie stellte zunächst fest, dass es sich bei dem Betreibervertrag um eine Rahmenvereinbarung im Sinne des § 103 Abs. 5 S. 1 GWB handele und führte dies näher anhand der Regelungen des Betreibervertrages aus. Aus ihren Ausführungen folgert sie, dass „[…] die Antragsgegnerin gegen § 21 Abs. 1 VgV verstoßen [hat]. Die Antragsgegnerin übersieht insoweit, dass sie nach vorgenannter Norm verpflichtet ist, das Auftragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben. Dieser Verpflichtung ist sie vorliegend nicht nachgekommen.“ Der Auftraggeber habe da nicht einmal ein über die bekanntgemachten Anlagen hinausgehendes ungefähres Volumen genannt. Ebenfalls überschreite die Rahmenvereinbarung die Regelfrist gemäß § 21 Abs. 6 VgV von maximal vier Jahren.

Der Auftraggeber sei verpflichtet, die Leistungsbeschreibung so auszugestalten, dass eine vernünftige Kalkulation und die Abgabe vergleichbarer Angebote ermöglicht würden. Eine Grenze bilde insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und finde sich im Mach- und Zumutbaren. Im vorliegenden Fall sei eine vernünftige Kalkulation nicht möglich. Mit Erfolg moniere die Antragstellerin die fehlenden Angaben zu Anlagenherstellern, -errichtern, den Inbetriebnahmedaten sowie zu Herstellervorgaben hinsichtlich der Qualifikation des einzusetzenden Personals. Das gleiche gelte insoweit auch für die fehlenden Angaben zur Anzahl der Zähler, zur Speichergröße der Trinkwassererwärmer und deren Reinigung, zur Anzahl der Druckhalterungen und der Zuordnung der Anlagenverantwortlichkeiten.

Die von der Antragstellerin gerügten vertragsrechtlichen Regelungen zur Bindung der Nachunternehmer, zur Vertragsstrafe, zur Videoüberwachung sowie zur Anwendung des Verbraucherpreisindexes in der Preisgleitklausel begründeten keinen vergaberechtlich relevanten Verstoß. Vertragsrechtliche Regelungen könnten von den Nachprüfungsinstanzen grundsätzlich nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit hin überprüft werden. Sollten Klauseln zivilrechtlich zu beanstanden sein, sei es Sache der Zivilgerichte, diese zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Die Backup-Lose verstießen gegen die Grundsätze der Diskriminierungsfreiheit, der Transparenz und des Gebots des fairen Wettbewerbs sowie gegen das Missbrauchsverbot nach § 21 Abs. 1 S. 3 VgV. Das Verbot der Doppelvergabe sei in § 21 VgV nicht mehr ausdrücklich geregelt, ergebe sich jedoch insoweit aus dem Wettbewerbsgebot und letztlich auch aus dem Missbrauchsverbot nach § 21 Abs. 1 S. 3 VgV.

Des Weiteren stelle das bloße Inaussichtstellen eines Auftrags, wie es nach obigen Ausführungen im Falle der Backup-Lose der Fall sei, einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der das Aufgreifen seitens der Vergabekammer von Amts wegen rechtfertige.

Zwar müsste vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit ein Bieter kein Angebot auf eine aus seiner Sicht derart risikobehaftete Leistung abgeben. Ein solches Argument könne jedoch nicht herangezogen werden, um eine derart vergaberechtswidrige Vorgehensweise eines Auftraggebers zu rechtfertigen, die nicht nur den einzelnen Bieter unangemessen benachteilige, sondern in erheblicher Weise den Wettbewerb über einen Zeitraum von nahezu 16 Jahren selbst einschränke.

Rechtliche Würdigung

Das Ergebnis teile ich mit der Vergabekammer. Denn es lag aus meiner Sicht recht offenkundig eine Rahmenvereinbarung vor, die Vergabekammer hat dies im Einzelnen schön nachvollziehbar erläutert. Allein wegen der bis zu 16-jährigen Laufzeit (zur Erinnerung: grundsätzlich sind nur 4 Jahre erlaubt) der Hauptlose und Back-up-Lose war die Vergabe daher aufzuheben. Was den Auftraggeber hier geritten hat, ist für mich kaum nachvollziehbar, da solcherart Leistungen typischerweise von den öffentlichen Immobilienverwaltungen als Rahmenvereinbarungen ausgeschrieben werden und eine solch lange Laufzeit auch bereits aus haushaltsrechtlichen Gründen für diesen Leistungsgegenstand kaum begründbar sein kann.

Die Vergabekammer belässt es aber nicht bei der Feststellung eines Verstoßes gegen die Laufzeit (das allein hätte ja genügt), sondern widmet sich auch anderer Themen, denkt diese dann aber leider nicht immer zu Ende und liegt teilweise auch noch falsch. Aber der Reihe nach: Die Vergabekammer subsumiert die von dem Antragsgegner vorgebrachten vermeintlichen Unzulänglichkeiten der Leistungsbeschreibung an dem Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung und an 21 Abs. 1 Satz 2 VgV und kommt zu dem Ergebnis, dass gegen beides verstoßen wurde. Was die Vergabekammer dabei vollständig außer Acht lässt, ist, dass nach gewichtiger Meinung (so etwa des OLG Düsseldorf) der Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung bei Rahmenvereinbarungen naturgemäß nur eingeschränkt gilt. Darin liegt eine Unzulänglichkeit der Begründung, denn damit setzt sich die Vergabekammer überhaupt nicht auseinander. Oder darin liegt vielleicht auch die Sensation dieser Entscheidung: Denn wenn man den Prüfmaßstab der Vergabekammer anlegt, dann dürften viele der großen Rahmenvereinbarungen in Deutschland vergaberechtswidrig sein.

Eine weitere Frage, mit der sich die Vergabekammer befasst hat, ist, ob und inwieweit ein Bieter in einem Vergabenachprüfungsverfahren überhaupt rügen kann, dass vertragsrechtliche Regelungen unzumutbar oder (zivilrechtlich) unwirksam seien. Diese Frage treibt derzeit einige Vergabekammern und das juristische Schrifttum um. Der Anknüpfungspunkt ist, dass Unternehmen nach § 97 Abs. 6 GWB (nur) Anspruch darauf haben, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Vertragsrechtliche Regelungen, so wird angeführt, stellen solche Bestimmungen über das Verfahren schlicht nicht dar. Meines Erachtens ist dies mit Blick auf die Definition der Vertragsunterlagen in § 29 VgV (Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen) sowie dem allgemeinen Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz zu kurz gefasst. Denn selbstverständlich können vertragsrechtliche Regelungen für einen Angebotsvergleich im Wettbewerb relevant sein und häufig ist es auch gar nicht so leicht zu sagen, ob eine Anforderung nun in den Vertrag oder in die Leistungsbeschreibung geschrieben werden soll. Auch an dieser Stelle hat sich die Vergabekammer mit diesen Grundsatzfragen nicht näher befasst. Eine nähere Auseinandersetzung wäre wünschenswert gewesen, wenn sich die Vergabekammer schon hierzu einlässt (was sie nicht musste).

Am kritikwürdigsten sind jedoch die Ausführungen der Vergabekammer zu der Back-Up-Vergabe des Auftraggebers. Denn liest man sich diese unbefangen durch, so wird der geneigte Leser zu dem erstaunlichen Ergebnis kommen, dass die Vergabekammer Berlin Back-Up-Vergaben als vergaberechtswidrig ansieht.

Die Vergabekammer schreibt unter anderem:

„Mit der Bezuschlagung auf die Backup-Lose wird lediglich eine rein theoretische Leistungserbringung in Aussicht gestellt, ohne dass es der Antragsgegnerin unmittelbar möglich ist, auf deren Erforderlichkeit bzw. auf ihren Eintritt überhaupt einzuwirken. Hinsichtlich des Auftragsvolumens kann die Antragsgegnerin letztlich keinerlei Angaben machen, da sie nicht wissen kann, ob überhaupt und ggf. wann der Vertrag über das jeweilige Backup-Los tatsächlich zur Ausführung gelangen wird.“

Das kann nicht richtig sein, und ist es auch nicht. Das liest sich so, als habe die Vergabekammer noch nie etwas von dem Konzept der Versorgungssicherheit gehört. Die Vergabekammer gelangt zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Doppelvergabe handelt und solche vergaberechtlich unzulässig seien. Zum Beleg zitiert sie Völlink/Kraus in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht 3. Auflage 2018, § 21 VgV, Rn. 11 und Biemann in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 21 VgV.

Richtig ist zunächst, dass die herrschende Auffassung in der Literatur davon ausgeht, dass das grundsätzliche Verbot der Mehrfach- oder Doppelvergabe bzw. die Sperrwirkung durch die Neuregelung in § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV nicht fallen gelassen werden sollte, sondern weiterhin normativ aus der Neuregelung selbst bzw. aus dem allgemeinen Wettbewerbsgrundsatz folgt. In der Begründung des Referentenentwurfs zu § 21 Abs. 1 VgV heißt es auch: Satz 3 verbietet Mehrfachvergaben. Hinzuweisen ist indes, dass sich eine Regelung wie in § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV nicht in Artikel 33 der Richtlinie 2014/24 findet und es sich also um eine rein deutsche Regelung handelt. Damit ist zu konstatieren, dass ein genereller Grundsatz des Verbots der Mehrfachvergabe im EU-Vergaberecht schon keine Stütze findet (so etwa auch Schrotz in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht 3. Auflage 2019, VgV § 21, Rn. 95 ff). Solche dogmatischen Fingerübungen können aber letztlich dahinstehen, denn selbst wenn man von dem Grundsatz des Verbots der Doppelvergabe ausgeht, so ist doch ganz logisch und auch anerkannt, dass es im Fall der Versorgungssicherheit eine Ausnahme geben muss. Und dies wird sogar so in der von der Vergabekammer zitierten Rn. 11 von Völlink/Kraus in: Ziekow/Völlink, 3. Aufl. 2018, VgV § 21 vertreten (ebenso ausführlich: Wichmann, VergabeR 2017, 1, 6).

Denkbar ist gar die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zu einer Back-up-Vergabe aufgrund einer staatlichen Gewährpflicht, nämlich als Absicherung für den Ausfall der (dringend notwendigen) Hauptleistung (man denke an öffentliche KRITIS-Betreiber). Ob dies nun tatsächlich bei einer Anlagenwartung (wie hier) sinnvoll und zulässig ist, mag auf einer anderen Ebene diskutiert werden, wurde es aber von der Vergabekammer nicht. Fest steht, dass doch das typische an einer solchen Back-up-Leistung ist, dass der Auftraggeber hofft, dass es nie zum Ausfall kommt und logischer Weise auch nicht weiß, ob und wann und in welchem Ausmaß es dazu kommen könnte.

Es mutet dann in doppelter Hinsicht sehr befremdlich an, wenn die Vergabekammer kritisiert, der Auftraggeber habe,

„[…] keine Angaben zum Auftragsvolumen gemacht und ob überhaupt und ggf. wann der Vertrag über das jeweilige Backup-Los tatsächlich zur Ausführung gelangen wird und dass der Auftragnehmer verpflichtet wäre, für die gesamte Vertragslaufzeit entsprechende Ressourcen vorzuhalten, so dass er im tatsächlichen Auftragsfall nach spätestens acht Wochen einsatzbereit sein müsse.“

In doppelter Hinsicht, da bereits bei Nicht-Back-Up-Rahmenvereinbarungen ständig solche Ungewissheiten für die Auftragnehmer bestehen, bei tausenden gelebten Verträgen in Deutschland (Willkommen in der Realität mag man da der Vergabekammer zurufen). Bei einer Back-Up-Lösung handelt es sich aber doch in aller Regel schon gar nicht um denselben Leistungsgegenstand, so dass es hier schon gar keine Wettbewerbsbeeinträchtigung nach dem deutschen Verständnis des § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV gibt. Solche Back-up-Verträge (auch dual sourcing) sind auch international bekannt und anerkannt zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Am Rande sei übrigens darauf hingewiesen, dass das Thema der Wettbewerbsbeeinträchtigung vom EU-Richtliniengeber bei Rahmenvereinbarungen nie unter dem Gesichtspunkt der Mehrfachvergabe betrachtet wird, sondern kartellrechtlich. Auch § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV, der Satz 1 des Erwägungsgrunds 61 zur Richtlinie 2014/24 aufgreift, sollte richtigerweise daher kartellrechtlich betrachtet werden. Der EU-Richtliniengeber fürchtet nämlich, dass durch Rahmenvereinbarungen Monopolisierungen eintreten.

Dass vorliegend die Back-up-Lösung gleichwohl vergaberechtswidrig ist, hat daher nichts damit zu tun, dass es sich um eine vermeintliche Doppelvergabe handelt, sondern schlicht damit, dass diese Lösung 16 Jahre lang vertraglich dauern kann und damit gegen § 21 Abs. 6 VgV verstößt und auch gegen § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV. Denn bei einer derart langen Laufzeit liegt eine Wettbewerbsbeschränkung nahe, und auch die Unzumutbarkeit. Insofern zeigt sich hier eine gewisse Ähnlichkeit mit den Streusalzfällen. Was vorliegend ebenfalls problematisch sein dürfte, worauf die Vergabekammer auch hinweist, ist, dass die Backup-Lose zusätzlich dem Abfangen von Leistungsspitzen dienen sollten und für dieselbe Leistung, trotz noch bestehenden Vertrages mit dem ursprünglichen Auftragnehmer, eine parallele Leistungsverpflichtung erfolgt. So ganz klar ist das aber auch nicht. Denn kartellrechtlich gesprochen sind solche Öffnungsklauseln durchaus gern gesehen. Der Gefahr von Rahmenvereinbarungen bewusst, heißt es in Satz 2 des Erwägungsgrunds 61 zur Richtlinie 2014/24:

„Die öffentlichen Auftraggeber sollten aufgrund dieser Richtlinie nicht verpflichtet sein, Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die Gegenstand einer Rahmenvereinbarung sind, unter dieser Rahmenvereinbarung zu beschaffen.“

 

Praxistipp

Auch bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen sollten öffentliche Auftraggeber so gut es geht den Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung beherzigen und sich nicht darauf zurückziehen, dass die eigentliche Leistungsbestimmung ja dann beim Einzelabruf erfolge.

Die Vergabekammer Berlin ist in diesem Punkt meines Erachtens aber noch ein kleines gallisches Dorf, da sie den strengen Grundsatz 1:1 auch auf Rahmenvereinbarungen überträgt, was bislang keiner so recht tut. Vielleicht ist dies aber auch nur ein Anstoß und früher oder später wird die doch recht großzügige (laxe?) Handhabung mit Rahmenvereinbarungen in Deutschland (wahrscheinlich auch häufig zu Lasten der Steuerzahler) auch noch auf höherer Ebene moniert und kassiert.

Der Vergabe von Back-Up-Leistungen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit steht der vergaberechtliche Wettbewerbsgrundsatz, der in § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV eine Konkretisierung gefunden hat, grundsätzlich nicht entgegen; hier unterliegt die Vergabekammer einem schwerwiegenden rechtlichen Irrtum. Denn selbstverständlich müssen solche Back-Up-Verträge zulässig sein, in bestimmten Fällen können sie sogar verpflichtend sein! (Zu denken ist an sog. KRITIS-Betreiber) Öffentliche Auftraggeber müssen im Fall der Vergabe von Back-Up-Leistungen jedoch vor allem den Transparenzgrundsatz berücksichtigen. Auch haushaltsrechtlich muss begründet werden, weshalb ein Back-Up-Vertrag vergeben werden soll, da dieser in aller Regel mit zusätzlichen Kosten für den Auftraggeber und einer zusätzlichen Belastung der Haushaltsmittel verbunden sein wird. Je geringer die Risikoeintrittswahrscheinlichkeit und die Risikoeintrittsfolgen, desto weniger lässt sich eine zusätzliche Belastung des Haushalts durch einen solchen Back-Up-Vertrag rechtfertigen. Dagegen ließe er sich rechtfertigen, wenn zwar die Risikoeintrittswahrscheinlichkeit gering ist, dafür jedoch die Risikoeintrittsfolgen erheblich sein können.

The post Sensationsentscheidungen oder rechtliche Irrwege? Vergabekammer legt strengen Maßstab an die Leistungsbeschreibung bei Rahmenvereinbarungen an und verkündet nebenbei noch das Ende von sog. Back-up-Verträgen (VK Berlin, Beschl. v. 13.09.2019 – VK B 1-13/19) appeared first on Vergabeblog.


Abfrage der technischen Ausrüstung eines Unternehmens zum Beleg der Versorgungssicherheit: Eignungs- oder Zuschlagskriterium? (OLG Rostock, Beschl. v. 12.08.2020 – 17 Verg 2/20)

$
0
0
Liefer- & Dienstleistungen

EntscheidungDer Vergabesenat des Oberlandesgerichts Rostock befasste sich gleich mit mehreren interessanten vergaberechtlichen Fragen rund um die Versorgungssicherheit betreffend Rettungshubschrauberleistungen. So geht es in dem Beschluss um die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien und um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gesamtflottenstärke eines Bieters ein zulässiges Zuschlagskriterium sein kann. Ebenfalls stellte sich die Frage der Zulässigkeit des Verbots des Einsatzes von Unterauftragnehmern. Die Entscheidung betraf eine Konzession, dürfte aber für alle Vergaben relevant sein, bei denen die Versorgungssicherheit eine Rolle spielt, insbesondere im Bereich der sog. Daseinsvorsorge.

GWB § 46, § 97, § 127; 152

Leitsatz

  1. Die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien erfolgt danach, ob sie im Schwerpunkt die Leistungsfähigkeit und fachliche Eignung des Bieters oder die Wirtschaftlichkeit des Angebots betreffen.
  2. Der Eigenbetrieb von Hubschraubern kann danach ein zulässiges Zuschlagskriterium sein, wenn aufgezeigt wird, dass er das Ausfallrisiko reduziert.
  3. Die Gesamtflottenstärke eines Bieters lässt ohne weitere Regelungen einen Bezug zur Ausfallsicherheit nicht erkennen und ist deshalb kein nach § 152 Abs. 3 Nr. 2 GWB zulässiges Zuschlagskriterium.

Sachverhalt

Das Land Mecklenburg-Vorpommern beabsichtigte für das Versorgungsgebiet des Landes eine Konzession zur Durchführung von Intensivtransporten im Rettungsdienst mit einem Intensivtransporthubschrauber für die Dauer von vier Jahren zu vergeben. Ein Bieter fühlte sich durch zwei Zuschlagskriterien diskriminiert: Zum einen durch das Zuschlagskriterium Hubschraubergestellung. Dort konnte ein Bieter mehr Punkte erreichen – nämlich 50 -, wenn er die Hubschrauber selbst stellt, aber nur 30, wenn er diese über Partnerunternehmen stellt. Der Bieter war auf Partnerunternehmen angewiesen. Zum anderen bemängelte der Bieter ein Zuschlagskriterium, nach dem die Anzahl an Hubschraubern an anderen Standorten bewertet und einer Bepunktung zugeführt wurde: Ab fünf vorhandenen Hubschraubern gab es zwei, ab zehn vier, ab 15 sechs und ab 20 acht Punkte. Bei diesen Zuschlagskriterien, so der Bieter, handele es sich um Eignungskriterien, die nicht für die Wertung der Wirtschaftlichkeit des Angebots herangezogen werden durften. Weiterhin monierte der Bieter das vom Auftraggeber vorgeschriebene Selbstausführungsgebot, das ihn ebenfalls benachteiligen würde.

Der Auftraggeber hielt dagegen, dass eine möglichst große Gesamtflotte dem Zwecke der Versorgungssicherheit diene. Es handele sich um leistungsbezogene und damit zulässige Zuschlagskriterien. Auch der Ausschluss eines Subunternehmereinsatzes diene der Ausfallsicherheit.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer folgte noch der Argumentation des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Der Vergabesenat hob die Entscheidung der Vergabekammer in der zweiten Instanz jedoch auf und ordnete die Neuwertung der Angebote an. Der Nachprüfungsantrag sei nämlich begründet, soweit er sich gegen das Bewertungskriterium der Gesamtflottenstärke richte. Dabei könne dahinstehen, ob Eignungs- und Zuschlagskriterien unzulässig vermischt würden. Denn das Kriterium der Gesamtflottenstärke würde unabhängig davon rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten, weil es nicht mit dem Konzessionsgegenstand in Verbindung stehe (§ 152 Abs. 3 Satz 2 GWB). Aus der konkreten Ausschreibungsgestaltung folge, dass der Einsatz von Hubschraubern von anderen Standorten aus am ausschreibungsgegenständlichen Standort rechtlich und auch tatsächlich nicht gesichert und damit letztlich vage sei.

Das Zuschlagskriterium, das die Zahl an eigenen Hubschraubern vor Ort höher honoriert, sei hingegen nicht zu beanstanden. Eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterium läge nicht vor. Entscheidend sei, ob die betreffenden Kriterien schwerpunktmäßig im Wesentlichen mit der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags (§§ 122 Abs. 1, 152 Abs. 2 GWB) oder mit der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots zusammenhängen. Die Prüfung der Eignung diene dabei dazu, diejenigen Bieter zu ermitteln, die zur Erbringung der konkret nachgefragten Leistung nach Fachkunde und Leistungsfähigkeit generell in Betracht kommen, und die unzureichend qualifizierten Bieter auszusondern. Sie dient nicht der Ermittlung qualitativer Unterschiede zwischen den einzelnen Bewerbern. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung bezieht sich dagegen nicht auf die konkurrierenden Unternehmen, sondern auf ihre Angebote.

Unterstelle man die Prognose des Landes, der Eigenbetrieb der Hubschrauber durch den Bieter selbst ohne Subunternehmereinsatz reduziere das Ausfallrisiko, als richtig, betrifft dies jedenfalls im Schwerpunkt die Qualität dessen, was der Bieter an Leistung anbieten kann bzw. angeboten hat. Diese Prognose sei vom Beurteilungsspielraum des Landes gedeckt. Das Gericht dürfe nur überprüfen, ob dessen Grenzen überschritten wurden, was zu verneinen sei. Es lasse sich nicht von der Hand weisen, dass mit der Einschaltung eines Subunternehmers jedenfalls abstrakt eine Kumulierung von Insolvenzrisiken einhergeht, die sich potentiell als zusätzliches Ausfallrisiko erweisen kann. Dass sich der Einsatz eines Subunternehmers hinsichtlich der Frage der Ausfallsicherheit in einzelnen Hinsichten auch neutral oder sogar umgekehrt risikoeinschränkend auswirken kann, wie der Bieter meint, falle nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Das Land durfte und musste insoweit im Ergebnis selbst bei Zugrundelegung des vorstehenden Ansatzes eine Abwägungsentscheidung treffen, die mit Blick auf das vorstehend Ausgeführte jedenfalls nicht unvertretbar erscheint.

Rechtliche Würdigung

Man könnte ja meinen, das Trennungsgebot oder Vermischungsverbot in Bezug auf Eignungs- und Zuschlagskriterien sei ein alter Schuh. Dem ist aber schon deshalb nicht so, da auch das zuletzt 2016 novellierte Gesetz bei Eignungskriterien nicht nur allgemein auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens abstellt, sondern konkrete Bezüge zur Leistungserbringung enthält. So heißt es in § 46 Abs. 3 VgV:

– Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen;

– Angabe des Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystems, das dem Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung steht;

– Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt.

Darüber hinaus gibt es § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV, wonach das Personal, das für die Leistung eingesetzt werden soll, unter bestimmten Voraussetzungen als Zuschlagskriterium abgefragt werden kann. Mit der gleichen Festlegung könnte diese Anforderung aber auch als Eignungskriterium festgelegt werden, so zumindest die Meinung der Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 24.01.2020 – VK1 97/19).

Meines Erachtens hilft es, dass man sich nochmal vor Augen führt, was dieses für Vergaberechtsfremde zunächst seltsam anmutende Trennungsdogma eigentlich bezweckt: Es dient der Förderung des Mittelstandes. Ohne das Trennungsgebot könnte ein Unternehmen, das über sehr viel Personal, über etliche Standorte und eine beachtliche technische Ausrüstung verfügt, auf der Zuschlagsebene immer die kleinen Unternehmen abhängen, vorausgesetzt, solche Leistungsmerkmale werden auch bewertet. Auf der Ebene des Zuschlags darf es jedoch nur darum gehen, wie ein Unternehmen die konkrete Leistung, am spezifischen Ort und mit seinem für die Leistung konkret einzusetzenden Personal und seinen technischen Mitteln erbringt.

Schwieriger wird es freilich, wenn die Qualität und Quantität des Personals und der technischen Mittel (auch) für die Leistungserbringung relevant sind. Dies könnte etwa zum Zwecke der Versorgungssicherheit der Fall sein, wenn etwa Personal oder technische Mittel an einem Standort ausfallen und nahtlos Ersatz bereitstehen muss. Allerdings muss der Auftraggeber begründen, warum er die Versorgungssicherheit zum Zuschlagskriterium erhebt und es daher auch auf die Anzahl an technischer Ausrüstung ankommt. Dieses Begründungserfordernis folgt zum einen daraus, dass Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und diese so festgelegt und bestimmt sein müssen, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet ist (§§ 152 Abs. 3 Nr. 2 GWB, 127 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 GWB; § 43 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 UVgO). Zum anderen folgt dies auch aus dem Grundsatz, dass mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen sind (§ 97 Abs. 4 S. 1 GWB; § 2 Abs. 4 UVgO).

Daraus folgt, dass der Aspekt der Versorgungssicherheit sachlich begründet sein muss. Der Grund darf nicht nur vorgeschoben sein, sondern muss belegt werden. Im Rahmen der Prüfung ist auch zu berücksichtigen, dass der Auftragnehmer vertraglich zur Leistung verpflichtet ist. Der Auftraggeber muss also ein erhöhtes Interesse daran haben, sich bereits im Vergabeverfahren belegen zu lassen – und dies auch zum Zuschlagskriterium zu erheben -, dass der Bieter über die Ausrüstung zur Gewährleistung einer erforderlichen Versorgungssicherheit auch tatsächlich selbst verfügt. Ähnlich wie eine Wertung des eingesetzten Personals voraussetzt, dass das Personal einen erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben muss (vgl. § 43 Abs. 2 Nr. 2 UVgO; § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV), muss auch die Festlegung und Wertung der Versorgungssicherheit und eine damit einhergehende Einschränkung der oben genannten vergaberechtlichen Prinzipien im Einzelfall gerechtfertigt sein.

Dies dürfte vor allem zur Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (z.B. Rettungsdienste, Abfallentsorgung), Daseinsvorsorge und bei kritischen Dienstleistungen nach § 1 Nr. 3 BSI-Kritisverordnung der Fall sein. Im Anwendungsbereich der VSVgV ist die Versorgungssicherheit in § 8 explizit aufgenommen, so dass dort die Begründungsanforderungen geringer sein dürften als im Anwendungsbereich etwa der VgV oder UVgO.

Weiterhin gilt, dass ein Unternehmen grundsätzlich die Möglichkeit erhalten muss, die Versorgungssicherheit durch Partnerunternehmen nachzuweisen. Die Abwertung bei der Punktevergabe in solchen Fällen oder gar ein Subunternehmerverbot sind Ausnahmen, die begründet werden müssen. Die Entscheidung des Vergabesenats darf also auf keinen Fall verallgemeinert werden. Hierauf weist auch der Vergabesenat hin: Jedenfalls im Rahmen der hier in Rede stehenden rettungsdienstlichen Leistungen kommt dem Gesichtspunkt der Ausfallsicherheit eine herausgehobene Bedeutung nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu, die den vorliegend streitbegriffenen Inhalt der Bewertungsmatrix rechtfertigen.

Praxistipp

Möchte ein Auftraggeber die Quantität (Anzahl) der technischen Ausrüstung anhand einer Punkteskala zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots bewerten, hat er Folgendes zu beachten:  Die Anzahl der Ausrüstungen muss unmittelbar für die konkret zu beauftragende Leistung relevant sein. Kann die Leistung mit einer bestimmten Quantität an Ausrüstung erbracht werden, soll aber gleichwohl ein Mehr an Ausrüstung positiv bewertet werden, dann könnte ein entsprechendes Bewertungskriterium aus Gründen der Versorgungssicherheit zulässig sein. Der Auftraggeber hat die Voraussetzungen an ein solches Kriterium im Einzelfall zu prüfen und die Gründe zu dokumentieren. In Betracht kommen dürfte ein solches Kriterium idR im Bereich der sog. Daseinsvorsorge. Möchte der Auftraggeber darüber hinaus festlegen, dass die gesamte Ausrüstung beim Bieter vorhanden sein soll, also der Einsatz von Unterauftragnehmern verboten wird, dann bedarf es ebenfalls einer gesonderten Begründung, die zu dokumentieren ist.

The post Abfrage der technischen Ausrüstung eines Unternehmens zum Beleg der Versorgungssicherheit: Eignungs- oder Zuschlagskriterium? (OLG Rostock, Beschl. v. 12.08.2020 – 17 Verg 2/20) appeared first on Vergabeblog.

Besondere Dringlichkeit erfordert Wettbewerb – im Ernst?

$
0
0
UNBEDINGT LESEN!

Arbeitsplätze müssen schnell ins Homeoffice verlagert, Masken, Antigentests, Vakzine schnell besorgt werden. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ statt „Eile mit Weile“. Und plötzlich ist ein alter Streit im Vergaberecht wieder ganz aktuell: Erfordert ein besonders dringlicher Bedarf der öffentlichen Hand eine Vergabe im Wettbewerb? Die einen sagen „das kann ja wohl nicht richtig sein, dass wenn das Haus brennt, man noch Preise vergleichen muss!?“. Doch in der Tat wird der Wettbewerbsgrundatz von anderen bei der besonderen Dringlichkeit angewendet. So kürzlich das OLG Rostock (Beschl. v. 09.12.2020 – 17 Verg 4/20).

Der Auftraggeber hatte anlasslose Coronatests in Alten- und Pflegeheimen direkt beauftragt ohne vorher Konkurrenzangebote einzuholen (siehe auch Vergabeblog.de vom 11/02/2021, Nr. 46300). In den Medien wurde besonders der im November an die Modefirma van Laack erteilte Auftrag für die Polizei-Masken diskutiert, wegen „Dringlichkeit“ hatte das Land auf eine Ausschreibung verzichtet (siehe auch ). Die Vergabe ist derzeit Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner hat sich die Rechtslage und Rechtsmeinungen zur besonderen Dringlichkeit näher angeschaut und fasst diese zusammen.

Problemaufriss

Das Vergaberecht unterscheidet zwischen der „einfachen“ und der „besonderen“ Dringlichkeit. Bei der einfachen Dringlichkeit ist unstreitig grundsätzlich Wettbewerb zu veranstalten, sie ermöglicht aber, die Mindestfristen zu verkürzen. Nur wer diese Unterscheidung kennt versteht auch, weshalb in § 10 Abs. 1 VOB/A steht, dass auch bei Dringlichkeit die Angebotsfrist nicht unter zehn Kalendertagen vorzusehen ist, gemeint ist hier nämlich nur die einfache Dringlichkeit. Die besondere Dringlichkeit gibt es in jedem Vergabegesetz, unterschwellig wie oberschwellig. Das ist auch durchaus logisch und sinnvoll, denn einer dringlichen Situation ist die Leistungsart und der Leistungswert herzlich egal. Für diesen Beitrag schauen wir uns repräsentativ für den Oberschwellenbereich § 14 IV Nr. 3 VgV an, da es auch die Norm ist, die am meisten Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten ist. Um den Meinungsstreit rund um die besondere Dringlichkeit besser verstehen zu können, sind die Voraussetzungen für eine besondere Dringlichkeit im Sinne des § 14 IV Nr. 3 VgV zu betrachten.

Das Gesetz schreibt vor, dass der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind; die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein.

Rein aus dem Wortlaut lassen sich somit folgende Voraussetzungen ableiten:

1. Äußerst dringliche, zwingende Gründe

2. Einhaltung der Mindestfrist nicht möglich

3. Fehlende Vorhersehbarkeit und Zurechenbarkeit für den Auftraggeber

Diese Voraussetzungen müssen unstreitig alle („kumulativ“) erfüllt sein, um eine Dringlichkeitsvergabe zu rechtfertigen.

Umstritten ist nun, ob der öffentliche Auftraggeber als ungeschriebene „vierte“ Voraussetzung oder auf der sog. Rechtsfolgenseite (Ermessen) prüfen muss, ob ein Wettbewerb durchgeführt werden kann.

Abgrenzung zur „Interimsvergabe“

Bevor wir uns diesem Streit näher widmen, gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Denn es ist wichtig zu erkennen, dass die sog. „Interimsvergabe“ gerade nicht der typische Fall der besonderen Dringlichkeit ist. Die Interimsvergabe ist eine „Überbrückungsvergabe“ für den Fall, dass eine im Wettbewerb (!) ausgeschriebene Leistung nicht pünktlich vergeben werden kann und ein vertragsloser Zustand droht. Sie ist durch die Rechtsprechung entwickelt worden und Anknüpfungspunkt ist die besondere Dringlichkeit. Nur für eine befristete Zeit ist eine dringliche Überbrückungsleistung zu besorgen. Meist liegen dann die o.g. Voraussetzungen der besonderen Dringlichkeit schon gar nicht vor, trotzdem braucht die öffentliche Hand die Leistung schnell, um ihren Pflichten („Daseinsvorsorge“) nachzukommen. Wenn aber schon die Voraussetzungen der besonderen Dringlichkeit nicht greifen, dann erscheint es logisch, dass zumindest Wettbewerb für die Überbrückungsleistung zu veranstalten ist, wenn freilich dazu noch Zeit verbleibt, was aber in der Regel der Fall sein dürfte.

Das Problem ist nun, dass sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur die Fälle der „Interimsvergabe“ und der „echten“ besonderen Dringlichkeit fast durchweg in einen Topf geworfen werden! Die geneigten Leser mögen dies einmal testen: Schauen Sie sich die Rechtsprechung und Kommentare an und die Fußnoten, es ist ein Aha-Erlebnis. Eine der wenigen, die dogmatisch sauber trennen ist die VK Bund (dazu weiter unten). Vorliegend wird allein die „echte“ besondere Dringlichkeit betrachtet und nicht der Fall der Interimsvergabe bei der Daseinsvorsorge.

Besondere Dringlichkeit erfordert stets Wettbewerb

In der wohl vorherrschenden juristischen Literatur wird das Erfordernis von Wettbewerb bejaht. Um den Grundprinzipien des Vergaberechts – Diskriminierungsverbot und Gleichstellungsgrundsatz – gerecht zu werden, müsse der Auftraggeber zumindest immer überprüfen, welche Unternehmen den Auftrag übernehmen könnten und welche Beauftragung unter den gegebenen Umständen zu dem wirtschaftlichsten Vertragsschluss führen würde (z.B. Bulla, AnwZert BauR 4/2018 Anm. 2, Dieckmann, in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, § 14 VgV, Rn. 74, Götz/Stumpf, VergabeR, 564, 566, Ziekow/Völlink/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 14 Rn. 66, Müller-Wrede/Hirsch/Kaelbe § 14 VgV Rn. 227). Der Auftraggeber könne aber den Kreis der im Rahmen der Dringlichkeitsvergabe aufzufordernden Unternehmen auf eine angemessene Zahl, z.B. die drei aussichtsreichsten Bieter, begrenzen.

Weitestgehend folgt die Rechtsprechung der vorherrschenden Literatur, oder umgekehrt. Grundsätzlich sei so viel Wettbewerb wie möglich zu eröffnen. Unter anderem sei dies der Fall, wenn geeignete Wettbewerber existieren und noch Zeit bis zum Eintritt des vergaberechtlichen Zustands bestehe (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 26.01.2017, 11 Verg 1/17 Rn. 64; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 30.01.2014 – 11 Verg 15/13 Rn. 51; VK München, Beschl. v. 29.12.2016 – Z3-3-3194-1-47-11/16 Rn. 141; OLG Dresden, Beschl. v. 24.01.2008 – WVerg 10/07 Rn. 33; VK Südbayern, Beschluss vom 21.10.2020 – 3194.Z3-3_01-20-31).

Aber: Kein Grundsatz ohne Ausnahme. In absoluten Ausnahmefällen könne von dem Grundprinzip der Vergabe im Wettbewerb durch die Direktvergabe abgewichen werden, so fast durchweg die o.g. Meinungen. Die Direktvergabe wird somit als ultima ratio angesehen. So entschied auch die Vergabekammer des Bundes in einem betagten Beschluss aus dem Jahre 2012 (BKartA Beschl. v. 12.11.2012 – VK 1-109/12, BeckRS 2016, 17213, beck-online).

Nach der aktuellen Entscheidung des OLG Rostock (Beschl. v. 09.12.2020 – 17 Verg 4/20) muss auch in der Notvergabe wenigstens ein „Wettbewerb light“ gewährleistet werden.

„Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV rechtfertigt allein kein gänzliches Absehen von einer Vergabe nach wettbewerblichen Grundsätzen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB). Das auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen nötigt vielmehr dazu, grundsätzlich auch in den Fällen der Notvergabe zumindest mehrere Angebote einzuholen und damit wenigstens „Wettbewerb light“ zu eröffnen. Nur als ultima ratio kommt eine Direktvergabe an einen von vornherein alleinig angesprochenen Marktteilnehmer in Betracht.“

Und siehe da, auch das OLG Rostock, wie fast alle anderen auch, zitiert gebetsmühlenartig OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 11 Verg 15/13. Dabei handelte es sich dort um eine Interimsvergabe und die Tatbestandsvoraussetzungen der besonderen Dringlichkeit waren schlichtweg bereits nicht gegeben.

Besondere Dringlichkeit erfordert keinen Wettbewerb

Die Vergabekammer Bund entschied jüngst, dass das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund besonderer Dringlichkeit gerade die Direktvorgabe erlaube (BKartA Bonn, Beschluss vom 28. August 2020 – VK 2 – 57/20 –, juris). Sie ist der Auffassung, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV beinhalte, dass in einer Situation der äußersten Dringlichkeit ein vorausgewählter Wirtschaftsteilnehmer beauftragt werden dürfe, ohne vorher auch bei anderen potentiellen Auftragsinteressenten Angebote einzuholen. Die VK erkennt den dogmatischen Unterscheid zur Interimsvergabe. Sie stützt das Ergebnis weiterhin auf die aktuelle COVID-19-Mitteilung der Europäischen Kommission.

Diese Mitteilung () beinhaltet Leitlinien zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation. Sie soll Optionen und Flexibilitätsmöglichkeiten aufzeigen.

„Auf EU-Ebene sind keine Verfahrensschritte geregelt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Behörden so schnell handeln können, wie es technisch/physisch möglich ist, und dass das Verfahren de facto eine Direktvergabe darstellt, die lediglich den physischen/technischen Zwängen im Zusammenhang mit der tatsächlichen Verfügbarkeit und Schnelligkeit der Lieferung unterworfen ist.“

Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV – 2 (siehe ) ist ebenfalls zu erwähnen. Es heißt dort:

So ist die direkte Ansprache nur eines Unternehmens auch nach den Ausführungen der Europäischen Kommission (siehe Fn. 1) dann möglich, wenn nur ein Unternehmen in der Lage sein wird, den Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit auferlegten technischen und zeitlichen Zwängen zu erfülle.

Hilfreich ist die Einschränkung „technische und zeitliche Zwänge“ freilich nicht, da sie mehr Fragen aufwirft, als beantwortet. Dies führt mich zu meiner Stellungnahme.

Stellungnahme

Gegen die Anhänger des Wettbewerbs bei besonderer Dringlichkeit spricht zunächst der Wortlaut der besonderen Dringlichkeitsvoraussetzungen. Die Voraussetzungen sind bereits sehr streng formuliert, also ein „dickes Brett“, sie fokussieren auf die äußerst dringlichen Umstände, die auch vorliegen müssen. Dass hier der Richtliniengeber vergessen haben soll, den Wettbewerbsgrundsatz aufzunehmen, erscheint daher nicht gerade nahe liegend, zumal dem Richtliniengeber Vorgaben zu der Anzahl aufzufordernder Unternehmen nicht fremd sind und er solche ganz in der Nähe der Dringlichkeitsvergabe aufgenommen hat (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 5 aE VgV). Auch systematisch liegt die Dringlichkeitsvergabe zwischen anderen Fällen, die die Beauftragung nur eines Unternehmens beinhalten. Weshalb sollte also gerade bei der besonderen Dringlichkeit der Wettbewerbsgrundsatz hineinzulesen sein? Andererseits ist der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht fremd, ungeschriebene Merkmale in eine vergaberechtliche Norm hineinzulesen, wie etwas das Besserstellungsverbot in Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 (entspricht § 108 GWB), so in dem Urteil v. 28.05.2020 – C-796/18, „ISE“.

Der EuGH hat sich schon öfter mit besonderer Dringlichkeit befasst, aber diese scheiterte stets bereits an den strengen Voraussetzungen. Angenommen, diese Voraussetzungen sind einmal erfüllt, dann denke ich nicht, dass der EuGH bei der besonderen Dringlichkeit den Wettbewerbsgrundsatz hineinlesen würde, wenn er sich damit befassen müsste. Nahe liegender ist doch, dass der Richtliniengeber die Voraussetzungen der besonderen Dringlichkeit deshalb so streng formuliert hat, da damit der Wettbewerb eingeschränkt wird.

Bereits der gesunde Menschenverstand sagt meines Erachtens, dass es dem öffentlichen Beschaffer nicht zugemutet werden kann, Wettbewerb zu prüfen, wenn die Kiste brennt. Ein solches Wettbewerbspostulat führt doch in der Praxis dazu, dass der Beschaffer eine Art „Schnell“-Marktrecherche betreiben muss. Dazu kommt die Unsicherheit, ob er vielleicht jemanden übersehen hat. Und dann sind auch noch Angebote einzuholen. Bieterfragen? Angebotswertung? Das alles, selbst wenn man es „light“ hält, kostet Zeit, möglicherweise ist der Zeitverlust essentiell und kann zu nicht behebbaren Schäden führen! Wo bleibt dann in der Krise der schlagkräftige effiziente Staat, nachdem alle rufen?

Dagegen können die Wettbewerbshüter dann auch nicht anführen, dass auch sie in Ausnahmefällen ja eine Direktvergabe zulassen. Denn wer bestimmt, dass das nun ein Ausnahmefall ist? Was sind dessen Voraussetzungen? Und außerdem müsste dies dann ja auch wieder begründet und dokumentiert werden. Auch dogmatisch muss man doch erkennen, dass man bei § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gerade schon prüfen muss, ob selbst ein verkürztes Vergabeverfahren nicht mehr möglich ist, das ist schon aufwändig genug, hier prüft man ja, ob Wettbewerb möglich ist. Weshalb soll dann nochmal, sozusagen am Ende geprüft werden, ob doch noch ein Wettbewerb „light“ geht, also drei (oder zwei?) Unternehmen anzufragen? Und natürlich über die eVergabeplattform, die, Hoppla, gerade nicht funktioniert oder gerade ist die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, der diese bedienen kann, nicht verfügbar.

Anders als etwa § 14 Abs. 3 Nr. 5 VgV enthält § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV in der logischen Konsequenz auch keine solche Voraussetzung, die dem öffentlichen Auftraggeber aufgibt, einen Angebotsvergleich durchzuführen. Es handelt sich bei § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV um eine Notvergabe, bei der der Wettbewerbsgrundsatz zurückzutreten hat. Das heißt: Selbst wenn im Einzelfall ggfs. tatsächlich ein Angebotsvergleich „light“ möglich wäre, sollte dies – aus gutem Grund – nicht vom öffentlichen Auftraggeber geprüft und umgesetzt werden müssen! Die Befürworter des Wettbewerbs stellen die handelnden Personen auch oft vor eine Zwickmühle: Wahre ich jetzt meine Verkehrssicherungspflicht und schütze wohlmöglich Leib, Leben und Gesundheit oder den Wettbewerb, oder irgendetwas dazwischen? In Deutschland ist die Rechtsprechung irgendwie auf dieses Wettbewerbspferd eingeschwenkt und bei genauen Hinsehen der Querzitate in Rechtsprechung (und Literatur!) erkennt man den ursprünglichen Grund, nämlich dass die Interimsvergabe und die besondere Dringlichkeit in einem Topf geworfen und vermischt werden – ein ungesundes Gemisch!

Insbesondere ein Blick auf die jetzige Situation zeigt, dass die Direktvergabe auch ohne vorherige Überprüfung der Möglichkeit eines Wettbewerbs durchführbar sein muss. Dies ist der einzige Weg um Gefahrensituationen zu begegnen und so Schäden für die Allgemeinheit effektiv abzuwenden. Sollte sich im Nachhinein ergeben, dass die Tatbestandsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorlagen, dann kommen andere Sanktionsmechanismen zum Tragen, etwa Schadensersatz.

Fazit und Empfehlung

Besondere Dringlichkeit erfordert Wettbewerb! – Im Ernst?

Ich hoffe nicht, doch hier bedarf es ganz offenbar einer Klärung durch BGH und EuGH, und diese wird sicher kommen. Bis dahin müssen Beschaffer leider schauen, ob die für sie zuständige Rechtsprechung grundsätzlich Wettbewerb voraussetzt. Sie können aber auch nach ihrem Gewissen handeln und es auf eine höchstrichterliche Klärung (Vorlage!) ankommen lassen.

The post Besondere Dringlichkeit erfordert Wettbewerb – im Ernst? appeared first on Vergabeblog.

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ – OLG Düsseldorf zur Wertung einer Bieterpräsentation (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.03.2021 – Verg 34/20)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDie Zulässigkeit und die Wertung mündlicher Präsentationen stellt ein vergaberechtliches Dauerthema dar, mit dem sich die Nachprüfungsinstanzen immer öfter auseinandersetzen, teilweise mit unterschiedlichen Ergebnissen. Siehe dazu etwa die Beiträge von Ortner (Vergabeblog.de vom 19/08/2019, Nr. 41767) und Gielen (Vergabeblog.de vom 10/02/2020, Nr. 43258). Nun liegt hierzu auch eine jüngere Entscheidung des OLG Düsseldorf vor, die sich Dr. Roderic Ortner für unsere Leserschaft näher angeschaut hat.

GWB § 97; VgV § 58

Sachverhalt

Gegenstand der Vergabe war die Beschaffung von Planungsleistungen für die Erweiterung und Umplanung einer Deponie. Die zu erbringenden Planungsleistungen umfassten sämtliche Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 9 gemäß Anlage 12.1 HOAI sowie zusätzlich als Besondere Leistung die örtliche Bauüberwachung. Vergabeart war ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Zuschlagskriterien waren der Preis und die Qualität gewichtet mit jeweils 50 %. Qualitative Kriterien waren das Projektteam sowie ein Leistungskonzept. In den Vergabeunterlagen legte der Auftraggeber weiter fest, dass für die qualitative Bewertung des Projektteams neben der Erfahrung auch die Qualifikation maßgeblich ist. Beides sollte vorliegend anhand der Angaben aus dem Bewertungsbogen und ergänzender Unterlagen, namentlich des beruflichen Werdegangs, einschlägiger Studien- und Fortbildungsnachweise und persönlicher Referenzen erfolgen. Ebenfalls enthielten die Vergabeunterlagen die Erwartungshaltung und ein Schulnotensystem.

Vor den Bietergesprächen erstellte der Auftraggeber einen Bewertungsbogen, nach dem das schriftliche Leistungskonzept mit 6 %, das mündlich präsentierte Kurzkonzept mit 30 % und die Beantwortung von insgesamt neun vorbereiteten Fragen im Rahmen eines Fachgesprächs mit 64 % gewichtet werden sollten. Diese Gewichtung war zuvor nicht bekannt gewesen.

Für das Fachgespräch sollte jedes Mitglied eines aus insgesamt sieben Personen bestehenden Wertungsgremiums die Bewertung der im einzelnen aufgelisteten Unterpunkte anhand einer nach Punkten in den Stufen 0, 2, 5 und 10 festgelegten Wertungsmethode vornehmen, wobei die Wertung mit 0 Punkten „ungenügend, entspricht nicht den Vorstellungen des Auftraggebers“ und mit 10 Punkten „sehr gut, entspricht in vollen Maßen den Wünschen und Vorstellungen des Auftraggebers“ bedeutete. In dem Wertungsbogen war auch eine Rubrik für die qualitative Wertung des Projektteams vorgesehen. Bewertet werden sollten danach anhand einer Punkteskala zwischen 0 und 4 Punkten die Professionalität der Gestaltung der Präsentation, das Auftreten des Projektteams und die Vollständigkeit des Projektteams. Im Anschluss an das jeweilige Bietergespräch trugen die Mitglieder des Bewertungsgremiums ihre Wertungspunkte jeweils in den Bewertungsbogen ein, aus denen sodann ein Mittelwert gebildet wurde. Eine weitere Dokumentation fand nicht statt. Diese Bewertungsmethode wurde erst nach Eingang der indikativen Angebote erstellt.

Das Ergebnis war dann Folgendes:

Beigeladene:

– Projektteam 22,05
– Leistungskonzept 14,50
– Preis 50
– Summe 86,55

Antragstellerin:

– Projektteam 50
– Leistungskonzept 50
– Preis 17,68
– Summe 67,68

Aufgrund des hohen Preisunterschieds erfolgte eine Auskömmlichkeitsprüfung nach § 60 VgV. Da der Preis danach für auskömmlich befunden wurde, sollte die Beigeladene den Zuschlag erhalten. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin und hatte im Ergebnis Erfolg.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat führte zunächst aus, dass die nachträgliche Festlegung der Wertungsmethode keinen Vergabefehler darstellte. Die Richter erinnerten in diesem Zusammenhang an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Dimarso. Danach sei der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, die Bewertungsmethode in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen anzugeben, wenn die Bewertungsmethode die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung nicht verändert (Urteil v. 14.07.2020, Rs C-6/15). Anhaltspunkte für eine Manipulation zum Nachteil der Antragstellerin lägen nicht vor.

Die Wertungsmethode sei aber deshalb als vergaberechtsfehlerhaft zu kritisieren, weil der Antragsgegner die Qualifikation der Teammitglieder, also ihre berufliche Befähigung zur Erbringung der ausgeschriebenen Planungsleistungen entgegen seiner Bekanntmachung in den Vergabeunterlagen nicht gesondert anhand des persönlichen beruflichen Werdegangs, der Fort- und Weiterbildung sowie persönlicher Referenzen bewertet habe.

„Die Qualifikation ist die berufliche Befähigung des Personals, die nachgefragte Leistung auszuführen (Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, VgV § 58 Rn. 9; Lausen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV § 58 Rn. 78). Bei der Erfahrung geht es hingegen darum, ob das bei der Leistungsausführung konkret einzusetzende Personal bereits in der Vergangenheit vergleichbare Leistungen erbracht hat (vgl. Pauka NZBau 2015, 18, 21). Beides soll vorliegend anhand der Angaben aus dem Bewertungsbogen und ergänzender Unterlagen, namentlich des beruflichen Werdegangs, einschlägiger Studien- und Fortbildungsnachweise und persönlicher Referenzen erfolgen. Dass der Antragsgegner nun lediglich die Angaben im Wertungsbogen zur Grundlage der qualitativen Wertung des Projektteams gemacht hat und nicht auch die Angaben in den ergänzenden Unterlagen, verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und ist vergaberechtswidrig.“

Das Gericht kritisiert weiterhin, dass sich die Gewichtung der Unter-Unterkriterien weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen ergaben. Diese unterlassene Bekanntgabe sei auch nicht ausnahmsweise vergaberechtsgemäß gewesen, da die nachträglich festgelegten Gewichtungskoeffizienten ihrer Art nach geeignet gewesen seien die Präsentation des Leistungskonzepts im Bietergespräch zu beeinflussen. Allerdings drang die Antragstellerin mit ihrer Rüge deshalb nicht durch, da der Vergabefehler die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht feststellbar geschmälert habe.

Schließlich sah das Gericht einen weiteren Vergaberechtsverstoß darin, dass der Auftraggeber die qualitative Bewertung des Leistungskonzepts nicht ausreichend dokumentiert und damit gegen § 8 VgV verstoßen habe.

„Nach ständiger Rechtsprechung des Senats müssen die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die in ihm mitgeteilten Gründe für getroffene Entscheidungen so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind. Dabei sind die Anforderungen an den Detaillierungsgrad aus Gründen der Nachvollziehbarkeit größer, wenn es um die Dokumentation von Entscheidungen geht, die die Ausübung von Ermessen oder die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums enthalten (…). Die Dokumentation des Antragstellers genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, welche Gründe für die Bewertung mit mangelhaft, befriedigend oder sehr gut maßgeblich waren (…).“

Im Ergebnis ordnete das Gericht an, dass das Verfahren in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zurückzuversetzen ist.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidungserwägungen des OLG Düsseldorf sind nachvollziehbar. Es ist jedoch zu betonen, dass Unterkriterien und Unter-Unterkriterien nach Veröffentlichung einer Vergabe ausnahmsweise noch festgelegt und gewichtet werden dürften. Dies scheint das OLG Düsseldorf auch nicht per se abzustreiten, so klar ist dies aber aus den Erwägungen nicht abzulesen. Maßstab ist und bleibt die Lianakis-Entscheidung des EuGH, den der Vergabesenat auch zitiert. Nachstehend nochmal die wesentliche Stelle bei Lianakis (Rechtssache C‑532/06, Rn. 42 ff.):

„(…). Der betreffende öffentliche Auftraggeber hatte allerdings im Nachhinein, kurz vor der Öffnung der Umschläge, Gewichtungskoeffizienten für die Unterkriterien festgelegt. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil entschieden, dass [die Vergaberichtlinie] einer solchen Vorgehensweise unter drei ganz bestimmten Voraussetzungen nicht entgegensteht, nämlich sofern [die Vorgehensweise]

– die in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag nicht ändert,

– nichts enthält, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können,

– nicht unter Berücksichtigung von Umständen gewählt wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil ATI EAC e Viaggi di Maio u. a., Randnr. 32).“

Dahinter verbirgt sich der Transparenz- und Nichtdiskriminierungsgrundsatz. Gerade bei komplexeren Vergaben, die im Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialog oder als Innovationspartnerschaft durchgeführt werden, kann es nämlich vorkommen und sogar erforderlich sein, dass der Auftraggeber nach Auswertung der Erstangebote und nach Durchführung von Bietergesprächen feststellt, dass er weitere Unterkriterien bzw. Unter-Unterkriterien bilden muss, was dann zwangsläufig zu einer Änderung der Gewichtung auf den unteren Ebenen führt. Verhandlungen dienen nach dem Gesetz dem Zweck, „die Angebote zu verbessern“, daher muss meines Erachtens diese Möglichkeit dem öffentlichen Auftraggeber auch offen bleiben und er muss davon auch ausgehen können. Diese Möglichkeit steht ihm auch offen, solange die o.g. Lianakis-Grundsätze beachtet werden. Wichtig ist, dass diese Festlegungen den Bietern vor Einreichung der weiteren Angebote bekannt gemacht werden. In dem hier vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall war dies jedoch gerade nicht bekannt gemacht worden, auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht.

Weiterhin ist zu konstatieren, dass der Vergabesenat mit keinem Wort thematisiert, ob die Wertung einer Bieterpräsentation als solche problematisch ist. Daraus darf meines Erachtens der Schluss gezogen werden, dass der Vergabesenat Bieterpräsentationen und deren Bewertung als solche als vergaberechtskonform akzeptiert. Freilich muss die Bewertung (Punktevergabe) ordnungsgemäß begründet und dokumentiert werden. Das letzte Wort ist hier meines Erachtens aber noch nicht gesprochen, weder der BGH noch der EuGH haben sich zu dem Thema abschließend geäußert. Eine Bieterpräsentation dürfte jedoch, solange die Voraussetzungen erfüllt sind, in allen Verfahren mit Verhandlungen zulässig sein. Schließlich führt auch die Europäische Kommission solche wertenden Präsentationen bei ihren Vergaben durch. Eine Angebotspräsentation dürfte selbst in einem offenen oder nicht offenen Verfahren zulässig sein, aber wohl nur solange es sich, ähnlich einer Teststellung, um eine rein verifizierende Präsentation handelt.

Praxistipp

Zunächst einmal sollte man vielleicht besser von einer Angebotspräsentation sprechen als von einer Bieterpräsentation. Denn der Bieter als solcher wurde bereits bei der Eignung „präsentiert“ und geprüft. Bei der Angebotspräsentation geht es aber doch meist darum, wie überzeugend der Bieter sein Konzept (Vorgehen/Umsetzung/Mittel) vorstellt und er auf leistungsbezogene Fragen antwortet.

Eine Angebotspräsentation als Bewertungskriterium erscheint vor allem dann sinnvoll, wenn es für die Qualität der Leistung auf die Fachkenntnisse und Erfahrung des einzusetzenden Personals ankommt. Dies sind oft Architekten- und Ingenieursleistungen, Beratungsleistungen in Spezialfeldern oder auch Rechtsdienstleistungen (der EuGH sprach einmal von „intellektuellen“ Leistungen). Der Auftraggeber muss dann im Vorhinein mitteilen, welche Gesichtspunkte er erwartet und er muss die Bewertungsmethode bekannt machen („Schulnotensystem“). Wichtig ist, dass er dann die Bewertung auch ordnungsgemäß dokumentiert. Es genügt nicht, dass man nur eine Note vergibt, die Note selbst muss – wie bei einer Klausur – auch textlich begründet sein („Warum“ wurde diese Note vergeben?). Wie der Auftraggeber intern letztlich zu der Wertung gelangt, ist ihm im Prinzip überlassen, also etwa, ob sich ein Gremium zusammensetzt (physisch oder virtuell) und gemeinsam eine Entscheidung findet oder ob erstmal jedes Gremiummitglied für sich selbst benotet und dann eine Durchschnittsnote errechnet wird, allerlei Wege sind denkbar. Dies muss den Bietern auch nicht bekannt gemacht werden, weder vorher noch nachher, wichtig ist aber, dass am Ende die vergebene Note auch plausibel begründet ist.

In dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall wurden Preis und Qualität jeweils mit 50 % gewichtet. Ob diese Gewichtung bei der Beschaffung von intellektuellen Dienstleistungen sinnvoll ist, erscheint mir fraglich. Der Ausgangsfall veranschaulicht dies gut. Dort hatte der Antragsteller sowohl mit einer erstklassigen Mannschaft als auch mit einem überzeugenden Konzept sehr gut abgeschnitten, deutlich besser als der Wettbewerber, scheiterte dann aber am geringeren Preis des Wettbewerbers. „Wer billig kauft, kauft zwei Mal“ surrt dann in meinen Ohren oder, wenn man das Zitat aus Schillers Glocke im Titel dieses Beitrags weiterliest: „Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang“; eine höhere Gewichtung der Leistung oder aber Mindesterfüllungsgrade hätten dieses Ergebnis vermeiden können.

Ein weiterer Praxistipp: Die Angebots-/Bieterpräsentation als solche sollte neben dem schriftlichen Konzept und den schriftlichen Lebensläufen nicht allzu hoch gewichtet werden und schon gar nicht mit einem Kriterium wie der „Vollständigkeit des Teams“. Denn ob an dem vom Auftraggeber festgelegten (und in aller Regel nicht zur Disposition stehenden) Tag alle angebotenen Mitarbeiter/-innen auch da sind, kann man als Bieter oft nicht beeinflussen (geplanter Jahresurlaub, Krankheit, Unglücksfall in der Familie). Dazu kommt, dass der Auftraggeber nie eine Garantie bekommt, dass das Personal dann auch bei dem bezuschlagten Unternehmen bleibt, daher sollte übrigens stets auch die Vertretung mit in die Wertung einfließen.

The post „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ – OLG Düsseldorf zur Wertung einer Bieterpräsentation (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.03.2021 – Verg 34/20) appeared first on Vergabeblog.

Trau, schau, wem? Auftraggeber dürfen sich auf das Leistungsversprechen eines Bieters verlassen, sie müssen nicht gesondert nachprüfen (VK Bund, Beschl. v. 11.06.2021 – VK 2-53/21)

$
0
0
Bauleistungen

EntscheidungDie Vergabekammer des Bundes stellt klar, dass sich Auftraggeber auf das mit Einreichung des Angebots geäußerte Leistungsversprechen eines Bieters verlassen dürfen. Sie stellt außerdem klar, dass dem Auftraggeber ein Ermessensspielraum zusteht, was die Prognose der Leistungsfähigkeit eines Bieters anbelangt. An die Vergleichbarkeit einer Referenz sind insofern auch keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, die referenzierten Leistungen müssen jenen nach Art und Umfang ähneln und nicht identisch sein.

GWB § 122 Abs. 1, 2; VOB/A § 6a EU Nr. 3 lit. a)

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber, eine Universität (Antragsgegnerin), schrieb die Beschaffung und Installation von labortechnischen Anlagen im offenen Verfahren aus. Die Vergabe richtete sich auf die komplette Realisierung von Laborflächen mit dazugehöriger Infrastruktur, so dass die VOB, 2. Abschnitt zur Anwendung gelangte. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.

In Ziff. III.1.3) gab die Universität u.a. folgende Nachweise zur Bestimmung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit vor:

– Angaben über die Ausführung von Leistungen in den letzten bis zu 3 abgeschlossenen Kalenderjahren, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind, unter Benennung von Kontaktpersonen zur evtl. Prüfung der Referenz,

– Mindestanforderung: 3 Referenzen

LV-Pos. 01.01.0009 gab vor, dass das Abzugsschiebefenster bei Nichtbenutzung des Abzugs automatisch (motorisch), mithin elektrisch, schließen müsse. Ferner war vorgegeben: Die manuelle Funktion des Schiebefensters muss jederzeit und uneingeschränkt gegeben sein.

Die Bieterin, die schließlich für den Zuschlag vorgesehen wurde (die Beigeladene), gab für die LV-Pos. 01.01.0009 (Abzug-Schiebefenster-Controller) ein von ihr hergestelltes Fabrikat als Typ Eigenfabrikat an. Das Feld, in welches die Typenbezeichnung einzutragen war, ließ sie offen.

Auf eine Überprüfung der Referenzen des Bieters, der später den Zuschlag erhalten sollte, wurden verzichtet, da die gleichen Referenzen bereits in einem anderen Vergabeverfahren von dem beauftragten Ingenieurbüro überprüft worden waren. Danach hatten alle Referenzgeber auf die telefonische Nachfrage des Ingenieurbüros bestätigt, dass die jeweils in den Formblättern benannten Leistungen durch die Beigeladene korrekt und zeitgerecht sowie zur vollen Zufriedenheit des jeweiligen Auftraggebers ausgeführt worden seien. Im Ergebnis bestätigte das Ingenieurbüro, dass die benannten Referenzen mit der ausgeschriebenen Leistung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens vergleichbar seien. Zwar lägen drei der vier benannten Referenzen unterhalb des im streitgegenständlichen Vergabeverfahren geschätzten Auftragswerts. Allerdings spreche dies nicht gegen die Vergleichbarkeit, da die erforderlichen technischen Leistungen einen hinreichenden Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebenen Leistungen ermöglichten.

Ein Wettbewerber ging gegen die Vergabe vor und rügte gleich mehrere Vergaberechtsverstöße, die hier nicht alle läutert werden können. So rügte er, dass der Zuschlagsprätendent in LV-Pos. 01.01.0009 keine Typenbezeichnung eingetragen habe. Außerdem sei er finanziell nicht leistungsfähig, also nicht geeignet. Weiterhin könne er nicht die Mindestanzahl an geforderten Referenzen erbringen, da ein Projekt erst im Mai 2021 abgenommen werde und damit noch nicht im Sinne des Gesetzes erbracht worden sei. Auch im Übrigen könnten die Referenzen nicht vergleichbar sein.

Die Universität forderte die Beigeladene aufgrund der Rügen zur Aufklärung über die Organisation der zu beschaffenden Montage und die Qualifikation ihres Montagepersonals auf sowie zur Vorlage eines nachvollziehbaren Belegs über ihre finanzielle Leistungsfähigkeit auf. Die Beigeladene legte entsprechende Unterlagen vor, unter anderem eine schriftliche Finanzierungszusage ihrer Bank.

Im vom Wettbewerber angestrengten Nachprüfungsverfahren führte die Universität weiter aus, dass der Nachprüfungsantrag auch deshalb zurückzuweisen sei, da die Antragstellerin zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen. Sie habe die Anforderungen der Ziff. III.1.2) der Auftragsbekanntmachung nicht erfüllt, wonach eine Erklärung zur Zahl der in den letzten 3 Jahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegliedert nach Lohngruppen, mit extra ausgewiesenem Leitungspersonal gefordert war. Die Antragstellerin habe nicht die Zahlen zu den Jahren 2019 und 2020 vorgelegt. Diese Angaben könnten auch nicht nach § 16a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A nachgefordert werden, da die Antragstellerin sonst ihr Angebot, das sich auf ihr PQ-Verzeichnis berufe, unzulässig nachgebessert würde.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag nicht statt.

Zu der fehlenden Typenbezeichnung führte sie aus, dass es eine solche gar nicht geben könne, wenn es sich um ein Eigenfabrikat handele. Auch der weiteren Argumentation, dass dann die Universität gar nicht überprüfen könne, ob der Bieter die Leistung auch wie gewünscht erbringen könnte, erteilte sie eine Absage:

Soweit die ASt meint, dann könne die Ag die Konformität mit den Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht überprüfen, so entspricht dies regelmäßigen Situation bei der Bepreisung von Leistungsverzeichnissen; die Bieter tragen nichts anderes ein als Preise, ob wirklich ein LV-konformes Produkt dahinter steht, ist regelmäßig nicht erkennbar. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich darauf verlassen, dass die Bieter leistungsbeschreibungskonform anbieten; er ist weder verpflichtet noch läge es im Bereich des Möglichen, alle Bieterangaben zu überprüfen oder zu verifizieren, es sei denn, ein Angebot weist Auffälligkeiten auf. Einen Anlass dafür, hier im konkreten Sachverhalt eine Prüfung vorzunehmen, ob wirklich LV-konform ein manuell bedienbares Schiebefenster angeboten wurde, gab es nicht, ebenso wenig wie einen Anlass, das Angebot der Bg an dieser Stelle auszuschließen wegen Nichteinhaltung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung.

Auch die Angriffe gegen die Eignung blieben erfolglos. Die Vergabekammer stellte fest, dass die Universität die Referenzen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit fehlerfrei prognostiziert hat. Die Universität war von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hatte sich bei ihrer Prüfung von sachgemäßen Erwägungen leiten lassen sowie einen zutreffenden Beurteilungsmaßstab angelegt und so eine fehlerfreie Prognose für die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen getroffen.

Der Umstand, dass ein Projekt erst im Kalenderjahr 2021 fertiggestellt würde und eine Abnahme erst im Mai 2021 stattfinden sollte, spreche nicht gegen die Berücksichtigung dieser Referenz. Ausweislich der Angaben der Referenzgeber wurden die Arbeiten zwischen 2018 und Ende 2020 tatsächlich erbracht und damit ausgeführt im Sinne der Ziff. III.1.3) der Auftragsbekanntmachung. Bei der Auslegung dieser Vorgaben ist auf den objektiven Empfängerhorizont eines verständigen neutralen Bieters abzustellen.

Die Ausführung der Referenzleistungen ist mangels verengender Präzisierungen zur Ausführung in tatsächlicher Hinsicht zu verstehen, ohne dass es auf einen möglicherweise vertragsrechtlich relevanten Abnahmezeitpunkt ankommt. Wortlautgemäß liegt dementsprechend eine ausgeführte Referenzleistung dann vor, wenn sie in einer Art und Weise ins Werk gesetzt worden ist, dass ein tragfähiger Rückschluss auf die entsprechende Leistungsfähigkeit des Bieters möglich ist. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Referenzgeber wie hier diesem Bieter eine entsprechende Referenzbescheinigung ausstellt und darin die entsprechende Leistung bestätigt. Auf dieser Grundlage kann der Auftraggeber nachvollziehen, ob die referenzierte Leistung in hinreichendem Maße ausgeführt worden ist.

Schließlich waren alle vier Referenzen mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar. Die Universität habe ausweislich des in der Vergabeakte dokumentierten Vergabevorschlags zutreffend einen wettbewerbsoffenen Auslegungsmaßstab für die Vergleichbarkeit zugrunde gelegt.

Danach kommt es nicht darauf an, dass die Referenzleistungen mit den ausgeschriebenen Leistungen identisch sein müssen, sondern die referenzierten Leistungen müssen jenen nach Art und Umfang ähneln, so dass ein tragfähiger Rückschluss auf die technische bzw. berufliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Bieters möglich ist.

Praxistipp

Im Einzelfall sollte ein Auftraggeber entscheiden, ob er in den Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Hinweise gibt, wann z.B. aus seiner Sicht eine Referenz als erbracht gilt oder bzgl. des genauen Referenzzeitraums. Solche Hinweise erhöhen die Transparenz und vereinfachen die Vergleichbarkeit. Fehlen solche konkretisierenden Hinweise und begnügt sich der Auftraggeber mit dem Gesetz (was natürlich völlig ausreicht), dürfte sich die Wettbewerbsintensität erhöhen. Dann müssen die referenzierten Leistungen jenen nach Art und Umfang ähneln, so dass ein tragfähiger Rückschluss auf die technische bzw. berufliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Bieters möglich ist. Dieses „Mehr“ an Flexibilität dürfte andererseits den Dokumentationsaufwand erhöhen und die Angreifbarkeit der Entscheidung.

Ein preislich unterlegener Bieter wiederum, der Zweifel daran hat, dass sein Wettbewerber die Leistung tatsächlich so wie gefordert erbringen kann, kann versuchen, diese Zweifel beim Auftraggeber zu nähren. Denn solche Zweifel können beim Auftraggeber zu einer Aufklärungspflicht führen und vielleicht sogar zum nachträglichen Ausschluss (erfahrungsgemäß indes mit geringer Wahrscheinlichkeit). Aber Vorsicht, in der Regel besteht das Leistungsversprechen darin, zum Leistungszeitpunkt die Leistung erbringen zu können und diese nicht bereits beim Angebot vorhalten zu müssen. Dies wäre vor einer entsprechenden Rüge im Einzelfall zu prüfen.

The post Trau, schau, wem? Auftraggeber dürfen sich auf das Leistungsversprechen eines Bieters verlassen, sie müssen nicht gesondert nachprüfen (VK Bund, Beschl. v. 11.06.2021 – VK 2-53/21) appeared first on Vergabeblog.

Das Aus für die Berücksichtigung von Newcomern bei der Vergabe? (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 23.12.2021 – 11 Verg 6/21)

$
0
0
ITKLiefer- & Dienstleistungen

EntscheidungDas OLG Frankfurt a.M. fordert, dass für ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit einer Referenz die Mindestbedingungen der ausgeschriebenen Leistung maßgeblich seien – Die Festlegung der Eignungskriterien und die Angabe der Belege, die für die Prüfung derselben gefordert werden, sind ein viel besprochenes Thema im Vergaberecht. Unbestritten darf die Eignungshürde nicht so hoch gesetzt werden, dass Eignungskriterien nicht mehr im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und unangemessen sind. Das OLG Frankfurt a.M. vertritt die Auffassung, dass diese Hürde allerdings auch nicht zu niedrig angesetzt werden dürfe. Unser langjähriger Autor Dr. Roderic Ortner wirft einen kritischen Blick auf diese Entscheidung.

§ 122 GWB

Sachverhalt

Das hessische Kultusministerium (Auftraggeber) schrieb die Bereitstellung und den Betrieb eines Videokonferenzsystems für die hessischen Schulen aus. Vertrag und Leistungsbeschreibung enthielten etliche Anforderungen an das zukünftige System, einschließlich strenger datenschutzrechtlicher Anforderungen.

Zur Darlegung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit forderte der Auftraggeber:

„Darstellung von mindestens einer geeigneten Referenz (Datei: Referenzen) aus den letzten 3 Jahren (Stichtag Ablauf der Angebotsfrist), die nach Art und Umfang den nachfolgend aufgeführten Anforderungen entspricht.

Art: Bereitstellung und Betrieb einer Videokonferenzsystem-Umgebung inklusive technischem Support

Umfang: Mindestens 10.000 Nutzer“

Zur Begründung führte der Auftraggeber an, dass er mit dieser Vorgabe kleine und mittelständische Unternehmen berücksichtigen sowie Newcomern eine Chance geben wolle.

In einer Antwort auf eine Bieterfrage (Nr. 84) bejahte der Auftraggeber folgende Frage:

„Ist es möglich, als Referenzkunden einen Kunden zu nennen, der mehr als 10.000 Benutzer in unserer Produktsuite, inkl. Online-Video-Konferenzen, hat?“

Der Auftraggeber beabsichtigte, den Zuschlag auf das Angebot eines Unternehmens (Beigeladene) zu erteilen, das ein Videokonferenzsystem bereitstellen wollte, das am Markt so noch nicht verfügbar war. Im Vorfeld der Zuschlagsentscheidung hatte der Auftraggeber eine Aufklärung betrieben, in deren Rahmen die Beigeladene anhand eines Prospektes das System vorstellte und erklärte, die Leistung wie gefordert erbringen zu können.

Hiergegen wendet sich ein Wettbewerber (Antragstellerin). Die Beigeladene sei aus formalen Gründen mangels Erfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen. Sie sei technisch und beruflich nicht geeignet. Ausweislich der eigenen Bieterfrage der Beigeladenen (Bieterfrage Nr. 84) habe diese keine entsprechende Referenz vorlegen können. Die Ergänzung der Produkt-Suite der Beigeladenen erfülle nicht die Anforderungen an eine marktübliche Videokonferenzanlage. Insbesondere lasse das System nicht mehr als 10 Teilnehmer mit eingeschalteter Videokamera zu. Das System der Beigeladenen sei allein auf Remote-Unterstützung im Sinne einer Fernwartung angelegt. Die Referenz habe sich aber auf ein Videokonferenzsystem bezogen, nicht allein ein Videosystem. Ein Videokonferenzsystem setze eine Vielzahl von Teilnehmern voraus. Es ergäbe keinen Sinn, wenn die referenzierte Leistung nach Art und Umfang nicht mit der ausgeschriebenen vergleichbar sei. Auch sei die Eignung hinsichtlich des Datenschutzes nicht abgefragt worden. Nicht ausreichend sei dabei, dass sämtliche Bieter den Wortlaut der Langfassung der Leistungsbeschreibung, die auch Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit umfasse, als verbindlich anerkannt hätten. Der Auftraggeber dürfe sich nicht darauf zurückziehen, gegebenenfalls vorliegende Mängel des Angebots später über das Leistungsstörungsrecht aufzufangen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer und in zweiter Instanz der Vergabesenat gaben der Antragstellerin recht.

Aufträge dürften gemäß § 122 Absatz 1 GWB grundsätzlich nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Der Auftraggeber hätte die Eignung gem. § 122 Absatz 2 GWB anhand von bekanntgemachten Eignungskriterien zu prüfen. Mit der Pflicht zur Eignungsprüfung korrespondiere grundsätzlich die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, Eignungskriterien festzulegen. Dabei stünde dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenze in § 122 Absatz 4 GWB findet. Es dürften demnach nur solche Eignungskriterien gestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Verzichtete der Auftraggeber auf die Aufstellung von Eignungskriterien kommt es bei der Ermittlung des Mindestmaßes an Vergleichbarkeit zwischen zu referenzierender und ausgeschriebener Leistung wiederum auf das Verständnis eines durchschnittlich erfahrenen Bieters von den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung an.

Für das Mindestmaß an Vergleichbarkeit seien die Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung maßgeblich. Diese beträfen aus Sicht des verständigen Bieters angesichts des dargestellten Zwecks der Ausschreibung und der dort formulierten Mindestbedingungen, z.B. Umfang, Qualität und sonstige wesentliche Leistungsmerkmale. Unter Berücksichtigung dieser Kernelemente fehle es der von der Beigeladenen referenzierten Leistung an dem erforderlichen Mindestmaß der Vergleichbarkeit mit dem Auftragsgegenstand. Die erbrachte Leistung sei unter keinem Aspekt mit der ausgeschriebenen Leistung hinreichend vergleichbar, um Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Ein allein auf das Minimalverständnis einer Videokonferenzanlage reduziertes Eignungskriterium wäre vorliegend unzulässig. Es wäre angesichts des hier vorliegenden hochkomplexen und umfangreichen Ausschreibungsgegenstands nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für den ausgeschriebenen Leistungsgegenstand zu ziehen.

Richtig sei allerdings, dass die auch nur mittelbare Formulierung von Eignungskriterien im Spannungsfeld steht zwischen dem Interesse des Auftraggebers einerseits, durch eine möglichst konkrete Fassung der Kriterien tatsächlich leistungsfähige Bewerbungen zu erhalten, und andererseits durch eine weitere Fassung der Kriterien im Interesse des Wettbewerbs möglichst viele Bieter zur Abgabe eines Angebots zu bewegen. Da Eignungskriterien jedoch einen ganz konkreten Zweck haben und ausschließlich dazu dienten, die spätere Leistungsfähigkeit des Bieters beurteilen zu können, stelle es für sich genommen kein zulässiges Ziel dar, sie unabhängig von § 122 Abs. 4 GWB so weit zu formulieren, dass eine große Anzahl von Bietern am Verfahren teilnehmen können.

Schließlich überzeuge auch der Einwand des Antragsgegners nicht, mit der gewählten Formulierung sollte eine Newcomer-Regelung getroffen werden. Ansatzpunkte für ein derartiges Verständnis ließen sich der gewählten Formulierung für die Referenz nicht entnehmen.

Rechtliche Würdigung

Richtig ist die Entscheidung dahingehend, dass ein Auftraggeber die Eignung prüfen muss. Dies geht eindeutig aus § 122 Abs. 1 GWB hervor. Auch in der Begründungserwägung 84 der Richtlinie 2012/24 heißt es, dass öffentliche Auftraggeber keine Verträge mit Bietern schließen sollten, die dazu nicht in der Lage sind.

Unbestritten dürfen Eignungskriterien auch nicht unverhältnismäßig, also zu streng, sein. Der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. fordert jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Festlegung von Eignungskriterien auch nicht zu milde sein darf. Die in § 122 Abs. 4 GWB angelegte Verhältnismäßigkeitsprüfung geht nach Meinung des Vergabesenats also in beide Richtungen. Damit wird erstmals von einem Vergabesenat ein Untermaßverbot aufgestellt. Dies kann meines Erachtens nicht richtig sein.

Nach dem Willen des Richtliniengebers sollte mit der Vorschrift verhindert werden, dass Eignungskriterien zu streng festgelegt werden. Zumindest zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit heißt es in Begründungserwägung 83 zur Richtlinie 2014/24:

„Übermäßig strenge Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit stellen oft ein ungerechtfertigtes Hindernis für die Teilnahme von KMU an öffentlichen Vergabeverfahren dar. Alle derartigen Anforderungen sollten in einem Zusammenhang und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstand des Auftrags stehen.“

Entsprechend sind diese Ausführungen auf die technische Leistungsfähigkeit zu übertragen.

Für die weite Auslegung des OLG Frankfurt a.M. findet sich – soweit ersichtlich – weder in den Vergaberechtlinien noch in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte eine Stütze. Einschlägige Fundstellen deutscher Gerichte fehlen ebenfalls. Kein einziges anderes Gericht wird zum Beleg zitiert.

Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass der Vergabesenat mit diesem Ansatz den Schutz öffentlicher Gelder vor Augen hatte. Der Schutz öffentlicher Gelder wird jedoch vom EU-Vergaberecht nicht bezweckt. Beim EU-Vergaberecht geht es um Wettbewerb und Bieterschutz. Dass ein öffentlicher Auftraggeber natürlich auch darauf achten muss, öffentliche Gelder zu schützen, folgt aus dem Haushaltsrecht, dessen Überprüfung jedoch nicht in die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen fällt. Ein Unternehmen, das keine Gewähr dafür leistet, den Auftrag ordnungsgemäß erfüllen zu können, soll keine Steuergelder erhalten.

Das Gericht vermengt weiterhin die Ebene der Eignung mit der Leistung, wenn es die Anforderungen an den vormals erbrachten Referenzgegenstand mit den konkreten Leistungsanforderungen gleichstellt. Anders gewendet: Geeignet ist nach Auffassung des Gerichts nur der, der die Mindestbedingungen der konkret geforderten Leistung genauso schon einmal erbracht hat. Auch in weiteren Ausführungen des Gerichts wird die Forderung an ein vergleichbares Referenzprojekt an der Leistungsbeschreibung angeknüpft und nicht an dem, was der Auftraggeber vorgegeben hat. Was der Auftraggeber vorgegeben hat, reicht nach Ansicht des Vergabesenats eben nicht aus, da es hinter den Mindestanforderungen der konkreten Leistung zurückbleibe.

Richtig wäre gewesen, die beiden Ebenen zu trennen, und zwar scharf. Denn der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden. Vielmehr darf er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19 , dass. vom 15. Juli 2015, VII-Verg 11/15 – juris, Rn. 51; OLG München, Beschluss vom 11. Mai 2007, Verg 4/07, NJOZ 2008, 2351, 2356; VK Bund, Beschluss vom 11.06.2021, VK 2 53 / 21; Opitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2017, § 127 Rn. 116). Eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergibt sich nur dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020 VII-Verg 20/19 , juris). Nur dieser Ansatz erscheint im Übrigen auch praktikabel. Etliche Vergabestellen sind personell unterbesetzt und oft fachlich nicht ausreichend qualifiziert, da von ihnen viel abverlangt wird, rechtlich (Vergaberecht), kaufmännisch (strategischer Einkauf, Marktkenntnis, Preisbildung), organisatorisch (Vergabemanagement) und technisch (eVergabe). Wenn es nach dem Willen des Frankfurter Vergabesenats geht, sollen sie jetzt auch noch aktiv prüfen müssen (und zwar fälschlicher Weise auf Ebene der Eignung!), ob die Bieter die Mindestanforderungen aus der Leistungsbeschreibung auch tatsächlich erfüllen können. Das ist eine schier unmögliche Aufgabe.

Hier hatte der Auftraggeber offenkundig die Eignungshürde mit Absicht nicht allzu hoch gesetzt. Es sollten gerade nicht nur am Markt verfügbare Produkte, die bereits sämtliche Anforderungen erfüllen, eine Chance bekommen. Soweit bereits Teilbereiche erfüllt werden, sollte dies ausreichen. Nach dem OLG Frankfurt a.M. besteht diese Möglichkeit aber vergaberechtlich nicht. Konsequent weitergedacht führt diese Auffassung allerdings dazu, dass der Wettbewerb stark eingeengt wird. Auch bedeutet dies, dass Unternehmen keine Möglichkeit haben, geforderte Funktionalitäten erst noch umzusetzen. Sie müssen bereits vorhanden und erfolgreich bei einem Kunden implementiert worden sein. Selbst wenn sie auf Nachfrage plausibel machen können, dass sie ihr Leistungsversprechen auch halten werden, reicht dies in Folge der Entscheidung des Gerichts nicht mehr aus. Dies wiederum führt dazu, dass Newcomer, selbst wenn dies ein öffentlicher Auftraggeber wünscht, ohne Eignungsleihe oder Bildung einer Bietergemeinschaft keine Chance mehr haben, in einem Vergabeverfahren anzubieten. Sie laufen stets Gefahr, dass der Platzhirsch oder ein lange am Markt tätiges Unternehmen eine beabsichtigte Bezuschlagung mit dem Hinweis rügt, der Newcomer sei nicht geeignet. Nach OLG Frankfurt a.M. bräuchte der Platzhirsch das vermeintlich fehlerhafte Eignungskriterium vorher auch nicht zu rügen. Mit keinem einzigen Wort erwähnt das OLG in diesem Zusammenhang im Übrigen einen weiteren Grundsatz, nämlich § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB, der auch bei der Festlegung der Eignung gilt: Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Und was ist mit der Bewahrung der öffentlichen Mittel? Auch dies muss eine (haushaltsrechtliche) Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers sein, die er letztlich vor der Rechnungsprüfung zu verantworten hat – nicht aber vor einem Vergabegericht. Das Vergaberecht verhindert meines Erachtens nicht die Entscheidung des Staates, auch einmal einem Unternehmen einen Auftrag zu geben, bei dem er nicht aufgrund der Historie (Referenzen) so sicher sein kann, dass das Unternehmen den Auftrag auch wie gewünscht und versprochen umsetzen wird. Dafür aber investiert der Staat in ein kleines Unternehmen, das überzeugt und möglicherweise einen Innovationsstandort, mit dem Deutschland gern in Verbindung gebracht wird, voranbringt. Innovation procurement ist in aller Munde, national und auf EU-Ebene. Das Vergaberecht wird immer mehr auch als Instrument der Förderung entdeckt und gewünscht. Eine Entscheidung wie die des OLG Frankfurt a.M. erscheint vor diesen Hintergründen nicht gerade fortschrittlich.

Praxistipp

Die Entscheidung wird – zumindest in Hessen – dazu führen, dass die Auftraggeber vorsorglich keine niedrigen Hürden mehr an die Eignung setzen werden. Denn leider ist es ja so, dass die Vergabestellen als erstes Ziel einer Vergabe immer noch die rechtssichere Vergabe nennen. Politisch bedeutet dies, dass die Vergabe als Instrument der Förderung von Newcomern und wohl auch KMU in Hessen derzeit erschwert ist.

Insgesamt dürfte die Entscheidung zu einer weiteren Verunsicherung der Vergabestellen führen. Was bleibt von dem Beurteilungsspielraum bei der Festlegung von Eignungskriterien noch übrig, wenn diese weder zu streng noch zu milde formuliert werden dürfen? Wann genau treffe ich als Vergabestelle das „Mittelmaß“, um den Anforderungen des OLG Frankfurt a.M. zu genügen?

Mein Praxistipp wäre, dass Auftraggeber und Bieter die Entscheidung in Hessen vorerst berücksichtigen sollten, aber nicht außerhalb von Hessen. Hier sollten die Auftraggeber mutig bleiben, und wenn es zu einer Überprüfung kommen sollte, die hier dringend nötig erscheint. Früher oder später wird sich der BGH oder vielleicht auch der EuGH mit dieser Frage befassen und hoffentlich Klarheit schaffen.

The post Das Aus für die Berücksichtigung von Newcomern bei der Vergabe? (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 23.12.2021 – 11 Verg 6/21) appeared first on Vergabeblog.

Viewing all 44 articles
Browse latest View live